Der Steppenwolf
Künstlern als Hölle ausgestattet, und eine Musikbande von Teufeln paukte darin wie rasend. Allmählich begann ich nach Hermine, nach Maria auszuspähen, begab mich auf die Suche, bemühte mich mehrmals, in den Hauptsaal zu dringen, lief aber jedesmal fehl oder hatte den Strom der Menge gegen mich. Um Mitternacht hatte ich noch niemand gefunden; obwohl ich noch nicht getanzt hatte, war mir schon heiß und schwindlig, ich warf mich in den nächsten Stuhl, zwischen lauter Fremden, ließ mir Wein geben und fand, das Mitmachen solcher lärmiger Feste sei nichts für einen alten Mann wie mich.
Resigniert trank ich mein Glas Wein, starrte auf die nackten Arme und Rücken der Weiber, sah die vielen grotesken Maskenfiguren vorbeiwehen, ließ mich puffen und schickte die paar Mädchen schweigend weiter, die auf meinem Schoß sitzen oder mit mir tanzen wollten. «Alter Brummbär», rief eine und hatte recht.
Ich beschloß, mir etwas Mut und Laune anzutrinken, aber auch der Wein schmeckte mir nicht, ich brachte kaum das zweite Glas hinunter. Und allmählich spürte ich, wie der Steppenwolf hinter mir stand und die Zunge herausstreckte.
Es war nichts los mit mir, ich war hier am falschen Ort. Ich war ja in bester Absicht gekommen, aber ich konnte hier nicht froh werden, und die laute brausende Freude, das Gelächter und die ganze Tollerei ringsum erschien mir dumm und erzwungen.
So kam es, daß ich um ein Uhr enttäuscht und böse mich wieder zur Garderobe zurückpirschte, um den Mantel anzuziehen und zu gehen. Es war eine Niederlage, ein Rückfall in den Steppenwolf, und Hermine würde es mir kaum verzeihen. Aber ich konnte nicht anders. Ich hatte auf dem mühsamen Weg durchs Gedränge bis zur Garderobe nochmals sorgfältig um mich geschaut, ob 142
ich keine der Freundinnen sähe. Vergebens. Nun stand ich am Schalter, der höfliche Mann hinter der Schranke hielt schon die Hand nach meiner Nummer ausgestreckt, ich griff in die Westentasche — die Nummer war nicht mehr da!
Teufel, das hatte noch gefehlt. Mehrmals während meiner traurigen Wanderungen durch die Säle, während meines Sitzens beim faden Wein hatte ich in die Tasche gegriffen, mit dem Entschluß zum Wiederfortgehen kämpfend, und hatte stets die runde flache Marke an ihrem Ort gefühlt. Und jetzt war sie fort.
Alles war gegen mich.
«Nummer verloren?» fragte ein kleiner rot und gelber Teufel neben mir mit schriller Stimme. «Da, Kamerad, kannst die meine haben», und streckte sie mir auch schon dar. Während ich sie mechanisch annahm und in den Fingern drehte, war der flinke kleine Kerl schon wieder verschwunden.
Als ich aber die kleine runde Kartonmünze ans Auge hob, um nach der Nummer zu sehen, stand gar keine Nummer darauf, sondern ein Gekritzel in kleiner Schrift. Ich bat den Garderobenmann zu warten, ging unter den nächsten Leuchter und las. Da stand in kleinen taumelnden Buchstaben, schwer zu lesen, etwas gekritzelt:
Heut nacht von vier Uhr an magisches Theater — nur für Verrückte
— Eintritt kostet den Verstand. Nicht für jedermann. Hermine ist in der Hölle.
Wie eine Marionette, deren Draht dem Spieler einen Augenblick entglitten war, nach kurzem, steifem Tod und Stumpfsinn wieder auflebt, wieder ins Spiel gehört, tanzt und agiert, so lief ich, am magischen Draht gerissen, in das Getümmel, dem ich soeben müde, lustlos und alt entflohen war, elastisch, jung und eifrig wieder zurück. Nie hat ein Sünder es eiliger gehabt, in die Hölle zu kommen. Eben noch hatten mich die Lackschuhe gedrückt, hatte mich die dicke parfümierte Luft angewidert, die Hitze mich erschlafft; jetzt lief ich hurtig auf federnden Füßen im Onesteptakt durch alle Säle, der Hölle entgegen, fühlte die Luft voll Zauber, wurde gewiegt und getragen von der Wärme, von all der brausenden Musik, vom Taumel der Farben, vom Duft der Frauenschultern, vom Rausch der Hunderte, vom Lachen, vom Tanztakt, vom Glanz all der 143
entzündeten Augen. Eine spanische Tänzerin flog mir in die Arme: «Tanz mit mir!» — «Geht nicht», sagte ich, «ich muß in die Hölle. Aber einen Kuß von dir nehm ich gerne mit.» Der rote Mund unter der Maske kam mir entgegen, und erst im Kuß erkannte ich Maria. Fest schloß ich sie in die Arme, wie eine reife Sommerrose blühte ihr voller Mund. Und nun tanzten wir auch schon, die Lippen noch aufeinander, und tanzten an Pablo vorbei, der hing verliebt über seiner zärtlich heulenden Tonröhre, strahlend und halb abwesend umfing uns
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