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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Boy mit der Blendlaterne geführt, stolperte ich durch die Vorhänge in den finstern Saal, fand einen Platz und war plötzlich mitten im Alten Testament. Der Film war einer von jenen, welche angeblich nicht des Geldverdienens wegen, sondern um edler und heiliger Ziele willen mit großem Aufwand und Raffinement hergestellt worden sind und zu welchem am Nachmittag sogar Schüler von ihren Religionslehrern geführt wurden. Es wurde da die Geschichte des Moses und der Israeliten in Ägypten gespielt, mit einem gewaltigen Aufgebot an Menschen, Pferden, Kamelen, Palästen, Pharaonenglanz und Judenmühsal im heißen Wüstensand. Ich sah den Moses, der ein wenig nach dem Vorbilde von Walt Whitman frisiert war, einen prachtvollen Theatermoses, am langen Stab mit Wotansschritten feurig und düster durch die Wüste wandern, den Juden voraus. Ich sah ihn am Roten Meer zu Gott beten, und sah das Rote Meer auseinandergehen und eine Straße freigeben, einen Hohlweg zwischen gestauten Wasserbergen (auf welche Weise dies von den Kinoleuten bewerkstelligt worden war, darüber konnten sich die vom Pfarrer in diesen Religionsfilm geführten Konfirmanden lange streiten), ich sah den Propheten und das furchtsame Volk hindurchschreiten, sah hinter ihnen die Streitwagen des Pharao auftauchen, sah die Ägypter am Meeresufer stutzen und scheuen, sich dann mutig hineinwagen, und sah über dem prächtigen, goldgeharnischten Pharao und all seinen Wagen 140
    und Mannen die Wasserberge zusammenschlagen, nicht ohne mich eines wundervollen Duetts für zwei Bässe von Händel zu erinnern, worin dies Ereignis herrlich besungen wird. Ich sah weiterhin den Moses auf den Sinai steigen, einen düstren Helden in düstrer Felsenwildnis, und sah zu, wie ihm dort Jehova vermittelst Sturm, Gewitter und Lichtsignalen die zehn Gebote mitteilte, während unterdessen sein nichtswürdiges Volk am Fuß des Berges das Goldene Kalb aufrichtete und sich ziemlich heftigen Belustigungen hingab. Es war mir so wunderlich und unglaublich, dies alles mit anzusehen, und die heiligen Geschichten, ihre Helden und Wunder, die über unsre Kindheit einst die erste dämmernde Ahnung einer ändern Welt, eines Übermenschlichen ergehen ließen, hier vor dankbarem Publikum, welches still seine mitgebrachten Brötchen aß, gegen Eintrittsgeld vorgespielt zu sehen, ein hübsches kleines Einzelbild aus dem riesigen Ramsch und Kulturausverkauf dieser Zeit. Mein Gott, um diese Schweinerei zu verhüten, hätten damals, außer den Ägyptern, auch die Juden und alle andern Menschen lieber gleich untergehen sollen, eines gewaltsamen und anständigen Todes, statt dieses grausigen Schein und Halbundhalbtodes, den wir heute starben. Na ja!
    Meine heimlichen Hemmungen, meine uneingestandene Scheu vor dem Maskenball war durch das Kino und dessen Anregungen nicht kleiner geworden, sondern unangenehm angewachsen, und ich mußte mir, im Gedanken an Hermine, einen Ruck geben, um nun endlich zu den Globussälen zu fahren und dort einzutreten. Es war spät geworden und der Ball längst in vollem Gang, nüchtern und schüchtern geriet ich sogleich, noch eh ich abgelegt hatte, in ein heftiges Maskengewühl, wurde vertraulich angepufft, von Mädchen zum Besuch der Champagnerstuben aufgefordert, von Clowns auf die Schulter gehauen und mit du angeredet. Ich ging auf nichts ein, drückte mich in den überfüllten Räumen mühselig zur Garderobe durch, und als ich meine Garderobennummer bekam, steckte ich sie mit großer Sorgfalt in die Tasche, im Gedanken, sie vielleicht schon bald wieder zu brauchen, wenn ich genug von dem Trubel hätte.
    In allen Räumen des großen Gebäudes war Festbetrieb, in allen Sälen wurde getanzt, auch im Kellergeschoß, alle Korridore und Treppen waren von Masken, Tanz, Musik, Gelächter und Gejage überflutet. Beklommen schlich ich durch das 141
    Gewühl, von der Negerkapelle zur Bauernmusik, vom großen strahlenden Hauptsaal in die Gänge, Stiegen, in die Bars, zu den Büfetts, in die Sektstuben.
    Die Wände waren zumeist mit wilden lustigen Malereien der jüngsten Künstler behangen. Alles war da, Künstler, Journalisten, Gelehrte, Geschäftsleute, dazu natürlich die ganze Lebewelt der Stadt. In einem der Orchester saß Mister Pablo und blies begeistert in sein geschweiftes Rohr; als er mich erkannte, sang er mir laut seinen Gruß entgegen. Von der Menge geschoben, gelangte ich in diesen und jenen Raum, Treppen hinauf, Treppen hinunter; ein Gang im Kellergeschoß war von den

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