Der sterbende Detektiv - Roman
Jarnebring. »Das Problem ist doch wohl, dass wir keine weiteren Straftaten entdecken konnten. Dass er sich Kinderpornographie aus dem Internet runterlädt? Was kriegt er dafür? Höchstens ein halbes Jahr und einen Klaps auf die Schulter.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich im Laufe dieser Jahre an etlichen kleinen Mädchen in Yasmines Alter vergangen hat. Wenn er das gesteht, dann sitzt er dafür viele Jahre ein. Sonst müssen wir halt was erfinden. Denk nur an diesen Schwachkopf Thomas Quick, den schlimmsten Serienkiller der skandinavischen Kriminalgeschichte. Der sitzt doch jetzt auch schon seit zwanzig Jahren? Dank seiner blühenden Fantasie und der Hilfe einer Anzahl noch verrückterer Kollegen. War nicht Bäckström auch an dieser Geschichte beteiligt?«
»Ganz sicher«, meinte Jarnebring. »Ich muss da an Nilssons Mutter denken, die sich das Leben genommen hat. Das ist ja noch nicht verjährt, falls es jetzt ein Mord gewesen sein sollte. Das war es zwar nicht, vermutlich jedenfalls nicht. Sie nahm sich ganz einfach das Leben, weil sie sich zusammengereimt hatte, was ihr Junge Yasmine angetan hatte.«
»Leider ist es wohl so«, meinte Johansson und nickte. »Sein Gewissen scheint so einiges zu verkraften.«
»Wieso glaubst du dann, dass er seine Einstellung diesbezüglich verändert hat?«
»Ich bilde mir ein, dass ich ihn dazu bringen könnte, einzusehen, was das Beste für ihn ist. Ich will ihm die Chance geben, sich in so eine Anstalt zu verkriechen, in der man Leute wie ihn unterbringt. Ich will ihm die Chance geben zu überleben. Der Preis dafür ist die Strafe, die ihm zusteht.« Johansson nickte, um das, was er gerade gesagt hatte, zu unterstreichen.
»Und wenn er das nicht begreift?«, meinte Jarnebring.
»Dann bleiben uns noch die drei anderen Möglichkeiten.
Aber er hat dann zumindest die Gelegenheit gehabt, sich zu entscheiden. Diese Möglichkeit hatte Yasmine nicht.«
»Wenn Sie wollen, dass ich etwas unternehme, Chef, dann brauchen Sie mir nur Bescheid sagen«, sagte Max und nickte. »Auf meiner Liste stehen viele, die ihr Lebensrecht verwirkt haben.«
»Ich verstehe, Max«, sagte Johansson. »Glauben Sie es oder nicht, aber ich denke wirklich an Sie, wenn ich es Ihnen verbiete. «
Am Sonntagnachmittag widmete sich Johansson jener Tätigkeit, die man in der Gegend, aus der er stammte, als Totenputz bezeichnete. Der noch nicht Verstorbene bringt seine Unterlagen in Ordnung und zieht Bilanz über sein irdisches Dasein. Dazu gehört beispielsweise, dass der oder die Betreffende rechtzeitig alles beseitigt, was die Vorstellungen eines lieben, nahen Angehörigen trüben könnte.
Da Johansson jedoch gar nicht erst etwas einfiel, wonach er hätte suchen können, schrieb er stattdessen einen Brief an seine Frau Pia, der seinem Testament beigelegt werden sollte. Im Grunde genommen ging es dabei um die Idee, dass sich das Leben vielleicht verlängern ließe, wenn man nur alles um sich herum geregelt habe. Ebenso bei den Lebensversicherungen, die Leute wie er die ganze Zeit abschlossen und die eigentlich nie fällig wurden, solange sie einem genutzt hätten.
Das war seine Art, nicht loszulassen. Trotz der ständigen Kopfschmerzen und des Drucks auf der Brust, der ihm das Atmen erschwerte. Trotz der vielen kleinen weißen Tabletten, die er schluckte, wenn ihm nur noch Flucht und Abwesenheit blieben.
Ich frage mich, ob ich in den Himmel komme, dachte Johansson plötzlich, als er sich auf das Sofa gelegt hatte, auf dem er inzwischen den größten Teil seiner Zeit verbrachte.
Müsste ich eigentlich. Größere Missetaten hatte er sich nicht zuschulden kommen lassen, nicht einmal damals, als er bei der Sicherheitspolizei gearbeitet hatte, zumindest keine, an die er sich erinnern konnte. Rein beruflich gesehen hatte er den größten Teil seines Lebens damit verbracht, anderen Menschen, die gelegentlich von den fürchterlichsten Dingen heimgesucht worden waren, zu helfen und sie zu beschützen.
»Max«, rief Johansson.
»Ja, Chef«, antwortete Max, der im selben Augenblick in der Tür seines Arbeitszimmers stand.
Vollkommen unbegreiflich, dachte Johansson. Ich muss nur seinen Namen sagen, schon steht er da. Ich brauche nicht einmal durch Reiben irgendeinen Flaschengeist zu beschwören.
»Glauben Sie an Gott, Max?«, fragte Johansson.
»Ich glaube nicht, dass es einen Gott gibt«, sagte Max und schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Wenn es einen Gott gegeben hätte, dann hätte er
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