Der Stern des Untergangs
Gefühl erwachte in Daron. Seine Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit unterwegs, an ihre Kämpfe Seite an Seite im Tempel, an ihren Ritt durch den gefährlichen Sumpf, an die Zeit, da er sie verärgert und sich später mit ihr darüber unterhalten hatte – all das verschmolz in diesem Augenblick zu einer Einheit, und er erkannte sie, als das, was sie war. Rote Sonja – die Rote Sonja von Hyrkanien, die Schwertkämpferin. Fast eine Göttin, dachte Daron, unvollkommen und doch völlig sie selbst, feurig und mutig, hart wie Stahl und doch mit einem menschlich warmen Kern.
Ja, er liebte sie.
Das Haar im Gras ausgebreitet, mit einer Locke, die das Kinn zu liebkosen schien … Die hohen Wangenknochen und die langen geschwungenen Wimpern … Die vollen Lippen, im Schlaf leicht geöffnet … Die weiche Linie vom Hals zu den Schultern und Armen … Die Brüste, voll und fest, von angenehmer Form und beim Atmen sanft erzitternd … Die weiche Haut über dem straffen Bauch, der sich ganz leicht hob und senkte … Das rotgoldene Schamhaar, das nicht weniger leuchtete als die langen Locken um das Gesicht … Und die muskulösen wohlgeformten Schenkel und Waden, die sich in zahllosen Kämpfen in geschmeidigem Gleichmaß mit dem Schwertarm, dem Handgelenk und den Augen gespannt und entspannt hatten … Das alles, ihre körperliche Schönheit und mehr. Wie konnte er diese Frau nur verärgert, sich mit ihr gestritten haben? Wie konnte er anders, als sie bewundern und achten, ihr Wesen, das Leben, das sie geführt hatte, und das schreckliche Leid, das ihr zuteil geworden war, und das viele Böse, das sie ertragen und gegen das sie gekämpft hatte? Diese Frau, dieser einmalige Geist in dieser wundervollen Hülle – diese lebende Frau!
»Sonja – ich liebe dich!«
Sie antwortete nicht.
»Ich liebe dich, Sonja. Liebst du mich nicht?«
Es war plötzlich eine neue Sonja, die da lag, eine Rote Sonja, die sich selbst fremd war, eine Sonja, die, ohne ihn. anzusehen, mit zitternder Stimme antwortete: »Ja, Daron. Ja, ich liebe dich.«
Er beugte sich zu ihr, und das Gras machte ein verräterisches Geräusch.
Bei diesem Laut sprang Sonja auf und blickte zu Daron hinab. »Ja, ich liebe dich. Doch verlange nicht mehr von mir, Daron. Gib mir Zeit – mit mir selbst ins reine zu kommen!«
Der Zauberersohn spürte Ärger in sich aufsteigen – und dann schwand er, und er begnügte sich. Denn was hatte er sonst von ihr für sich gebeten – ob er nun die Frage gestellt hatte oder nicht?
Sonja ging zu ihrer Kleidung und zog sich an.
Die Sonne senkte sich den fernen Wäldern entgegen, als sie sich in die Sättel schwangen und ihren Weg durch den Spätnachmittag fortsetzten.
Sonja und Daron hielten an, saßen ab und ließen ihre Pferde weiden, während sie sich die Beine vertraten, kühles Wasser aus einem Bach tranken und Früchte kauten. Sie schwiegen, ein jeder mit den eigenen Gedanken beschäftigt. Sonja dachte an ihr Erwachen in Darons Armen, an seine Küsse und an ihre Küsse. Halb schlafend, halb wach, mit dem Verlangen, ihn zu liebkosen, seine Arme zu spüren – war sie da im Halbtraum ehrlicher zu sich gewesen als in wachem Zustand?
Während sie darüber nachdachte und staunte, erinnerte sie sich plötzlich an den Tag, ‚da Daron und sie von dem Dorf aufgebrochen waren. Verwundert über sich selbst, entsann sie sich der Worte des alten Iatos an einem Morgen, der ihr Jahrhunderte zurückzuliegen schien.
Was ist, wenn du Schläge erwartest und statt dessen als nächstes Musik hörst? Wenn du Schläge erwartest, reagierst du auf Musik vielleicht so wie auf einen Schlag. Wessen Schuld ist das? Wenn du unter Feinden aufgewachsen bist, hältst du jeden für einen Feind. Wenn du daran gewöhnt bist, ein Messer zum Töten zu verwenden, wie kannst du dir dann beibringen, dass es auch zum Brotschneiden verwendet werden kann – oder um ein wundervolles Kunstwerk aus einem Stück Holz zu schnitzen?
Die Erinnerung an diese Worte und an Darons Küsse rüttelten sie auf. Ihre Gefühle flammten auf, sie verspürte ein neues Vertrauen. Sie stellte fest, dass sie lächelte, als sie sich Darons Gesicht vorstellte.
Sie drehte sich um und blickte zu ihm hinüber, der ein paar Schritte entfernt saß.
Etwas in seiner Haltung kühlte die Gefühle, die in ihr aufgeflammt waren.
»Daron?«
Er starrte auf den Sonnenuntergang fern im Westen, starrte auf die orangefarbenglühende Kugel, die die Wipfel zu entzünden schien und ein Zwielicht in
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