Der Stern des Untergangs
Männer im Kampf getötet«, erinnerte ihn Sonja eisig, »und Frauen ebenfalls. Und ich habe gesehen, wie Rohlinge von Soldaten Kinder und Säuglinge im Krieg verstümmelten. Das drehte mir den Magen um! Wenige, die die Klinge gegen mich hoben, überlebten es, um davon zu sprechen. Ja, Daron, ich habe Tod und Zauberei im Übermaß gesehen, aber ich werde es nicht zulassen, dass du diesen kopfverletzten Jungen in irgendeine Dämonenhölle schickst, nur weil Bo-ugans Leute nicht fähig sind, eine Festung einzunehmen!«
»Bo-ugan hat herzlich wenig damit zu tun, Sonja.«
»Ja. Und jetzt erscheint alles andere gering für den Bastardsohn eines Zauberers, der auf sein verfluchtes Geburtsrecht pocht!«
Mit einem wütenden Aufschrei trat Daron nach seinem Stuhl. Seine Hand flog um den Schwertgriff, und es fehlte nicht viel, und er hätte es aus der Scheide gerissen.
»Zieh es, Daron!« brüllte Sonja. »Zieh es, Sohn eines Hexers! Keine Zauberei wird dich vor meiner Klinge bewahren.«
Doch da rührte er sich nicht mehr – und stellte fest, dass er es nicht konnte. Er blickte in die funkelnden blauen Augen der Hyrkanierin und erinnerte sich – erinnerte sich – und sein Ich erhob sich im Streit gegen sich selbst … Er erinnerte sich, und doch hoffte er – auf zweierlei …
»Ich – ich kann nicht«, wisperte er bitter, und Tränen glitzerten ihm in den Augen. »Ich kann das Schwert nicht gegen dich ziehen, Sonja.«
Sie blickte ihn an und errötete. »Hexers Sohn!«
»Ihr Götter Acherons!« fluchte Daron gequält. »Sieh es doch auch aus meiner Warte, Sonja, bitte! Was wäre, wenn es eine letzte Hoffnung gäbe, dass dein Vater noch lebte – irgendwo da draußen. Eine Hoffnung! Würdest du da des Preises achten?«
Sie starrte ihn an, sah die Tränen in seinen Augen. Sie schluckte und spürte ihr Herz heftig pochen. Seine Worte hatten sie zutiefst getroffen. »Verdammt«, murmelte sie düster zu sich selbst. »Verdammt! Warum musst du ein Zauberersohn sein?«
Sie warf einen flüchtigen Blick auf Osylla, die sie schweigend beobachtet hatte, dann drehte sie sich hastig auf dem Absatz um, riss die Tür auf, ging hinaus und knallte sie hinter sich zu.
Daron schmetterte die Faust auf den Tisch, dann krallte er die Finger um die Kante und stand starr, mit gespreizten Beinen. Er zitterte am ganzen Körper, knirschte mit den Zähnen und kämpfte gegen die Tränen an.
»Höllengespinst!« sagte Osylla leise, staunend. »Ihr liebt sie, Daron. Ihr liebt sie, nicht wahr?«
»Ja.« Er unterdrückte ein Schluchzen. »Ja, ich liebe sie.«
»Ja … Und sie liebt Euch.«
Mit feuchten Augen starrte er sie an, Osylla begegnete seinem Blick. »Wirklich? Sie liebt mich?« murmelte er leise.
Urrim war nicht bei den Pferden zu sehen. Sonja entdeckte ihn schließlich am Rand der Lichtung, wo er an einen Baumstamm gelehnt dasaß. Ringsum füllte der dichte Sumpfwald sich mit Nebel und dem orangefarbenen Glühen der untergehenden Sonne.
Nachdenklich ging Sonja auf Urrim zu. Sie kannte ihre Gefühle, wusste jedoch nicht, wie sie sie offenbaren sollte – und ob sie es überhaupt tun sollte. Wenn Daron zwischen Schlangen und Flammen gefangen war, war sie es nicht weniger.
Urrim blickte bei ihrem Kommen auf. Er spielte mit Steinchen im Schlamm, der sein zerknittertes Beinkleid und die abgetragenen Stiefel ebenso wie die Hände bedeckte.
Sonja starrte in den Sumpf und dachte: Ich könnte ihn jetzt töten … Sein Vertrauen missbrauchen, aber ihn aus seinem Elend erlösen – und dadurch diese Hexer hereinlegen …
»Wie geht es den Pferden, Urrim?«
Er zuckte gleichmütig die Schulter. »Sie – es geht ihnen gut. Ich brauchte nichts – muss nichts tun …«
Sonja sagte zu ihm: »Sie – Daron und die Hexe – möchten deinen Geist befreien, Urrim.«
Er hob die Hände, schien sie jedoch nicht zu verstehen.
»Verdammt!« fluchte sie. »Sie wollen dich töten, Urrim. Verstehst du nicht? Sie brauchen dich, damit sie gegen das Ding kämpfen können, das dir das angetan hat! Den Stern! Diese Männer in dem Tempel – in dem großen Raum.«
Tränen glänzten in seinen Augen.
»Urrim – verstehst du? Sie wollen dich töten, aber nur damit sie …«
Ihr Götter! Mitra! Was sagte sie da? Glaubte sie das wahrhaftig? War es überhaupt sie selbst, die da sprach? Oder war sie irgendwie verhext – durch Osylla oder Daron? Mitra, das war teuflisch!
Ich könnte ihn jetzt töten, sagte sie sich wieder, und diese Hexer hereinlegen
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