Der Stern des Untergangs
glauben.
Daron drang in sie: »Was ist hier geschehen? Erzähl es uns!«
»Nicht so wichtig.« Sie steckte ihr Schwert ein. Allem zum Trotz, was sie während der Erscheinung gehört hatte, klang ihre Stimme gequält, als sie fragte: »Seid ihr gekommen, es zu tun?«
»Im Sumpf«, antwortete Osylla. »Ich kenne eine geeignete Stelle ein Stück weit im Sumpf.«
»Natürlich«, murmelte Sonja grimmig. »Bei den – anderen.«
Die beiden übergingen diese Bemerkung. Osylla streckte eine Hand aus. »Urrim?«
Der Junge stand auf, ging zu ihr und nahm ihre Hand. Sonja blickte ihm in die Augen. Sein Blick wich dem ihren nicht aus, und einen flüchtigen Moment lang – oder täuschte sie sich? – glaubte sie die gleiche Intelligenz in ihnen zu sehen wie zuvor, als er so klar zu ihr gesprochen hatte.
Hand in Hand mit Urrim ging Osylla auf den Sumpf zu. Daron schritt mit der Fackel voraus.
»Ich komme mit«, erklärte Sonja und legte die Hand wieder um den Schwertgriff.
»Ich denke, Ihr tut es besser nicht«, sagte Osylla.
»Ich komme mit«, wiederholte Sonja. Ihre Augen wanderten blitzend zu Daron. »Ich gehöre dazu, verdammt, und ich habe genug Zauberei gesehen und gegen sie gekämpft, um zu verstehen, worauf ich mich einlasse. Eure Geheimnisse, Hexe, müssen schon sehr geheim sein, wenn ich sie nicht erfahre.«
Osylla beäugte sie abfällig. Daron bemerkte: »Sie hat recht, Osylla. Es stimmt. Ihre Seele ist stärker als jene der meisten, die unsere Kunst ausüben. Lasst sie uns begleiten!«
»Also gut.« Osylla gab nach und lächelte boshaft. »Vielleicht ist tatsächlich mehr da als ihre Klinge und das Flammenhaar. So kommt, Rote Sonja!«
Daron schritt weiter voran, und seine Fackel leuchtete einen Weg durch die wirbelnden Nebelschwaden, während sie durch den Schlamm wateten.
5
DES ZAUBERERS SOHN
Der Mond stand hoch, als sie Osyllas magischen Ort erreichten. Drei Bäume zeigten ihn an: knorrige, uralte Bäume, die sich in den Himmel streckten und deren raue Rinde im silbernen Mondschein wie feuchtes Leder schimmerten. Ihre moosbewachsenen und rankenbehangenen Zweige und Äste schienen wie Klauenfinger nach den Wolken zu greifen. Ihre dicken Wurzeln hoben sich aus dem schlammigen Grund und nahmen ein Bodenstück von der Reichweite zweier großer Männer ringsum ein. Auf dieses Wurzelbett war ein riesiger scheibenförmiger Stein gelegt worden, so dick wie eine Armlänge, und in ihn waren tiefe Runen und andere Zeichen geprägt. Dieser einfache Altar schien alles Leben des Sumpfes fernzuhalten. Die Büsche und Bäume ringsum waren verkrüppelt, und es sah aus, als wollten sie von diesem Stein fortstreben. Das faulige Wasser des riesigen Sumpfes reichte nicht heran, nur der Mondschein bahnte sich einen Weg durch die bewegten Äste, um die Runen und Zeichen zu versilbern.
»Hier!« Das war alles, was Osylla sagte, während sie eine Hand hob.
Urrim ging vor ihr her. Als folgte er einem lautlosen Befehl, stieg er auf die gewaltige Steinscheibe, legte sich mit dem Rücken darauf, spreizte Arme und Beine und starrte durch die Äste zum Mond empor. Der Wind wehte schwach über die Lichtung – ein übel riechender Wind, leise und abgestanden wie Dämpfe aus der Hölle.
Sonja sah besorgt zu und empfand den Schauder tiefer menschlicher Furcht in dieser unirdischen Atmosphäre. Daron schien ihre Gefühle zu ahnen. Er trat dichter an sie heran und flüsterte: »Ich flehe dich an, Sonja, misch dich nicht ein, so entsetzt du auch sein wirst.«
»Entsetzt? Das bezweifle ich«, sagte sie traurig. »Abgestoßen, ja.«
Osylla drehte sich um und streckte Daron die Hand entgegen. Er reichte ihr die Fackel. Sie hochhaltend, näherte die Hexe sich dem liegenden Urrim. Sie blickte ihn nicht an. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, und die Augen starrten himmelwärts zum vollen Mond. Der stärker werdende Wind brachte die Fackel zum Flackern und peitschte Funken auf, die den Sumpf auf gespenstische Weise erhellten.
Urrim stöhnte.
Osylla achtete nicht darauf. Die Fackel weiterhin hochhaltend, spreizte sie die Beine, hob den anderen Arm zur Beschwörung und rief mit gellender Stimme Worte, die Sonja nicht verstand.
»Doth-Abru! E sokassa ne teh hoheles Doth-Abru! Sei karamas hoheles, Doth-Abru! Doth-Abru keles! Thodbura!«
»Was zur Hölle ruft sie?« fragte Sonja Daron flüsternd.
»Sie beschwört …« Er hielt inne, offenbar selbst erstaunt über das plötzliche Bild vor ihnen.
Sonja, die wusste, dass manche
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