Der Stern des Untergangs
lenkte sein Pferd zu der Hexe und fragte grimmig: »Welche Bezahlung schulde ich Euch für Eure Hilfe?«
»Bezahlung?«
»Gewiss habt Ihr es nicht umsonst getan.«
Sie lächelte heiter. »Ich kenne Euch. Ich kenne Euren Vater. Ihr habt mich bereits bezahlt, Daron, indem Ihr mit Eurem Verlangen meine Hütte betreten habt. Am Tag Eures Todes wird Eure Seele zur Aufbewahrung zu mir kommen, und dann werdet Ihr bezahlen, Daron … Ihr werdet bezahlen …«
In der Stille des Sumpfes, in der feuchten Wärme des morgendlichen Waldes befiel Daron eine eisige Kälte, die ihm ins Herz schnitt. »So bin ich denn verflucht?« fragte er dumpf.
»Ihr seid eines Zauberers Sohn, der eine Hexe und die Älteren Wesen um Hilfe bat«, erwiderte Osylla mit durchdringendem Blick. »Lebt und lernt, Daron kos Odurac.«
»Seid verflucht …« Mit der Schwere von Stein oder Eisen fielen ihm diese Worte von den Lippen. Er hätte die Faust heben, seine Klinge ziehen oder sein Pferd aufbäumen lassen können, um die Hexe zu zertrampeln – aber er tat nichts dergleichen.
Statt dessen, Osyllas finsteres Lächeln noch in den Augen, wendete er sein Pferd und ritt fort von der Hütte. Das leuchtende Amulett trug er unter seinem Wams.
Ohne einen Blick zurück gab Sonja ihrem Pferd die Fersen und führte Urrims Stute an den Zügeln hinter sich her. Während sie ritten, merkte sie sich gewisse feste Punkte der Landschaft, um den Weg nicht zu vergessen.
Gegen Mittag erreichten sie ein noch unbekanntes Gebiet des Sumpfes und hielten sich in nordwestlicher Richtung, die Daron ausgewählt hatte – oder vielmehr das Amulett, denn er hatte ganz einfach seinem Hengst den Willen gelassen, und dieser hatte ihn hergeführt. Mächtige Bäume, armselige Büsche, schaumbedecktes schmutziges Wasser und übler Geruch umgaben sie. Das Sonnenlicht wirkte grau.
Sie banden ihre Pferde an und lehnten sich gegen hohe Steine in der Mitte einer kleinen Erhebung. Dann holten sie aus den Sattelbeuteln altes Brot und Dörrfrüchte. Sonja kaute bedächtig Bissen um Bissen und starrte gedankenverloren vor sich hin.
Ihr Schweigen schmerzte Daron. »Hasst – hasst du mich jetzt, Sonja?«
Tonlos antwortete sie. »Nein, ich hasse dich nicht. Ich kann dich nicht hassen, Daron.«
»Ich vermutete, dass sie vielleicht … Deshalb nahm ich ihn mit. Vielleicht war es unrecht.«
»Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich hoffe nur, du kannst leben mit dem Gedanken an das Schicksal, das du Urrim gebracht hast. Und ich hoffe, ich kann es ebenfalls.«
Er blickte sie verwundert an.
Sonja seufzte. »Ich versuche mir nur darüber klar zu werden, was ich mit dem allen zu schaffen habe. Ich habe hier nichts zu suchen.«
»Sonja …«
»Es ist wahr.« Sie war niedergeschlagen, müde, erregt.
»Was geht ihr mich an, du und dein Vater? Oder Urrim, um genau zu sein? Und was bedeutet es mir, ob Bo-ugan und seine Dorftrottel gegen die Priester der Roten Sonne siegen oder nicht?«
»Das meinst du nicht wirklich!«
»Und ob ich es so meine!« Aus ihren feurigen saphirblauen Augen sprach Entschlossenheit, als sie sie ihm zuwandte. »Ich bin mehr Wege geritten als die meisten in einem ganzen Leben; habe mehr Kämpfe überstanden, als die meisten überleben; war in jedem teufelsverfluchten Klima und in jedem verseuchten Höllenloch, das die Götter in ihrem Wahnsinn erschufen. Und wozu? Wozu, Daron?«
»Hör mich an! Ich weiß, dass all das an dir frisst …«
»Sei still, Daron! Halt bloß den Mund und lass mich eine Weile in Ruhe, verstanden?«
Er blickte sie an.
»Ich stecke genau in der Mitte von all dem«, fuhr sie fort, »und ich begreife einfach nicht, weshalb! Bei Erliks Höllen! In der Mitte eines verfluchten Sumpfes mit einem Zauberersohn – mit einer wahnsinnigen Hexe hinter uns und einem Tempel voll Teufelanbetern noch ein Stück weiter zurück … In Mitras Namen, was tue ich denn?«
»Sonja …«
»Lass mich in Ruhe, dass ich eine Weile nachdenken kann, Daron!«
Da änderte sich sein Ton. »Sonja!« Er sprang auf und zog seine Klinge.
Sonja blickte ihn scharf an, schaute in die gleiche Richtung wie er und sprang ebenfalls auf, während sie mit der Flinkheit einer Katze, die eine Maus anspringt, ihr Schwert aus der Scheide riss.
Schatten bewegten sich im Sumpf – wandelnde Schatten mit Krallen und Augen und Zähnen …
Die Pferde wieherten und versuchten sich loszureißen. Sonja redete beruhigend auf sie ein, stieg von den Steinen hinunter auf den
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