Der Stern von Yucatan
moniert, obwohl er schon zum Essen in diesem Haus gewesen war und wusste, was sich hier abspielte. Trotzdem nannte er Azucena immer Thomas’ Haushälterin. Und im ersten halben Jahr war sie auch nur das gewesen. Thomas hatte nicht mal andeutungsweise einen Annäherungsversuch gestartet. Schließlich hatte Azucena, deren Name ein Symbol für Reinheit und Perfektion ist, die Initiative ergriffen und ihn verführt.
Das Essen war ausgezeichnet. Azucena hatte sein Lieblingsgericht zubereitet, und Thomas sah, dass es auch seiner Tochter schmeckte.
“Sie ist wirklich eine hervorragende Köchin”, lobte Raine, als Azucena eine Platte mit heißen Tortillas auf den Tisch stellte.
Es fiel Thomas schwer, seine Zuneigung für seine Lebensgefährtin nicht zu zeigen. Er merkte, dass Lorraine auffiel, wie er Azucena bei deren Eintreten anlächelte, und hätte vielleicht etwas dazu gesagt, doch wurden sie von einem lauten und fordernden Klopfen unterbrochen. Beide Frauen sahen Thomas an.
Er legte seine Serviette beiseite und durchquerte den Raum, um zu öffnen. Er war nicht sicher, was ihn erwartete. Das Klopfen klang nicht freundlich. Er ahnte, dass es Probleme gab.
Jenseits der Türschwelle standen zwei uniformierte Polizisten. Er hatte selten bewaffnete Polizei in dieser Stadt gesehen. Nicht nur das, er kannte keinen der Männer, was an sich schon ungewöhnlich war. In El Mirador kannte er fast jeden, wenn nicht persönlich, so doch vom Sehen.
“Kann ich Ihnen helfen?”, fragte Thomas und sprach jedes Wort besonders deutlich und mit Autorität aus.
“Wir suchen Lorraine Dancy.”
“Darf ich fragen, worum es geht?”
“Dad?”, fragte Raine aus dem Zimmer. “Ich habe meinen Namen gehört.”
Er ignorierte sie und behielt Blickkontakt mit den beiden Beamten. “Warum suchen Sie meine Tochter?”
“Wir müssen ihr einige Fragen stellen”, sagte der Größere und Muskulösere von beiden.
“Fragen wozu?”
“Über Jason Applebee”, teilte ihm der zweite Beamte mit. “Wir müssen wissen, wie ihre Beziehung zu diesem Mann ist.”
“Dad?” Raine war zu ihnen gekommen. “Worum geht es denn?”
“Kennst du einen Jason Applebee?”, fragte er auf Englisch.
Sie nickte. “Er ist Amerikaner. Ich traf ihn in Mérida. Er half mir, mein Busticket zu kaufen. Ist alles in Ordnung? Ihm ist doch nichts zugestoßen, oder?”
Thomas leitete die beiden Fragen an die Beamten weiter. Raine hatte den Mann zuvor zwar nicht erwähnt, aber er merkte an ihrer Reaktion, dass sie ihn offenbar mochte.
Die Beamten antworteten, und Thomas wandte sich wieder an seine Tochter. “Sie halten ihn in der Polizeistation fest. Sie wollen mir nicht sagen, warum.”
“Oh nein!” Sie legte eine Hand auf den Mund. “Da ist etwas nicht in Ordnung. Wir müssen ihm helfen.”
Thomas war lange genug in Mexiko, um zu wissen, wie heikel der Umgang mit der Polizei sein konnte. Wegen Raines Freundschaft mit diesem Mann fühlte er sich jedoch verpflichtet, so gut zu helfen, wie er konnte. “Sie möchten, dass du sie auf die Polizeistation begleitest”, erklärte Thomas ihr als Nächstes.
“Ich?” Raine sah ihn verunsichert an.
“Ich komme mit.”
“Dann gehe ich”, entschied sie. “Ich bin sicher, das ist nur ein Missverständnis, und alles wird sich in kurzer Zeit aufklären.”
Thomas wünschte, er könnte das glauben. Eines wusste er jedoch genau, er würde alles tun, seine Tochter zu beschützen.
Sobald Lorraine das kleine Polizeigebäude betrat, sprang Jason auf. Seine Miene verriet deutliche Erleichterung. “Lorraine!”, rief er, als sei sie die Antwort auf seine Gebete.
“Was ist los?”, fragte sie.
Jason warf den beiden Beamten an der Tür einen Blick zu, den diese unbeteiligt erwiderten.
Mit drei Polizisten, Jason, Lorraine und Thomas war die winzige Station überfüllt. Erst jetzt fiel Lorraine auf, dass nur einer der Männer, die bei Thomas zu Hause gewesen waren, sie hierher begleitet hatte. Wo der zweite abgeblieben war, ahnte sie nicht. Es beunruhigte sie aber auch nicht besonders.
“Das ist meine Frau”, erklärte Jason auf Englisch.
Lorraine konnte ihren Widerspruch gerade noch herunterschlucken.
Ihr Vater starrte sie aus leicht verengten Augen an. Beide Polizisten sahen sofort auf den Ringfinger ihrer linken Hand.
“Stimmt das?”, fragte der ältere der Männer. Er war groß und wirkte würdevoll mit seinem dichten weißen Haar.
Alle Anwesenden schienen auf die Bestätigung zu warten. Jason
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