Der Stern von Yucatan
diese hochschwangere Frau seine Lebensgefährtin war. Lorraine würde vermutlich überrascht sein, vielleicht missbilligend, aber Azucena war in jeder Hinsicht seine Frau außer in rechtlicher. Nun, da er frei war, würde er sie jedoch baldmöglichst heiraten.
Lächelnd betrat Azucena den Raum. Ihr Lächeln erstarb, als sie Lorraine entdeckte. Ihre Begrüßung war eher ernst, während sie Thomas mit fragendem Blick ansah. Sie sprach wenig Englisch und zeigte keine Neigung, es zu lernen. Da sie selbst in dieser Hinsicht keinen Ehrgeiz entwickelte, beherrschten auch ihre Söhne nur wenige Worte.
“Das hier ist meine Tochter”, erklärte Thomas auf Spanisch. Sie riss die Augen auf, und er merkte, wie aufgebracht sie war. Er hatte ihr von seiner Familie und von Raine erzählt und spürte, dass sie sich bedroht fühlte. Er wollte sie trösten, sie in Sicherheit wiegen, wusste aber nicht, wie.
“Wo ist Jack Keller?”, fragte Azucena schroff.
“Wieder auf seinem Boot, vermute ich. Ich habe ihn zurückgelassen, als ich erfuhr, dass meine Tochter in der Schule ist.”
“Du wusstest vom Besuch deiner Tochter?” Ihre schönen dunklen Augen blickten vorwurfsvoll.
“Nein.” Er wollte Azucena in die Arme nehmen und sich entschuldigen, wagte es aber nicht. “Ihre Mutter ist letzten Monat gestorben, und sie hat erst danach erfahren, dass ich noch am Leben bin.”
Azucena nickte mitfühlend. “Stell mich als deine Haushälterin vor”, riet sie ihm sanft und weise. “Deine Tochter hatte genug zu verkraften.”
“Ich will sie nicht wieder anlügen. Es ist besser, wenn sie es erfährt.”
“Wir werden es ihr gemeinsam sagen”, erwiderte Azucena. “Später. Sie hat eine lange Reise hinter sich und muss erschöpft sein.”
Zögernd stimmte er mit kurzem Nicken zu.
“Biete ihr einen Platz an, und ich serviere euch das Essen.”
“Was ist mit dir und den Jungs?” Es erschien ihm nicht richtig, dass sie nicht mit am Tisch aßen. Obwohl er Gewissensbisse hatte, schon wieder etwas vor seiner Tochter zu verheimlichen, merkte auch er, wie erschöpft sie war. Er wollte sie nicht mit noch einer schwierigen Wahrheit belasten. Außerdem fürchtete er ihren Zorn. Er hätte es nicht ertragen, sie wieder zu verlieren, nachdem er sie gerade erst gefunden hatte. Nur deshalb ging er auf Azucenas Vorschlag ein.
“Mach dir keine Gedanken, wir essen später”, beharrte Azucena.
Thomas merkte, dass Raine ihr Gespräch verfolgte. Ihr Blick verriet jedoch, dass sie die Unterhaltung nicht verstand. “Ist diese Frau jemand Besonderes?”, fragte sie und betrachtete Azucena.
“Meine Haushälterin”, erwiderte er und fügte im Stillen hinzu: und eine Menge mehr.
“Sie ist tadellos”, stellte Lorraine nach einem Blick durch das blitzsaubere, spärlich möblierte, aber hübsch dekorierte Haus fest.
Thomas wusste sehr wohl, dass sie an mehr Komfort gewöhnt war. Doch er entschuldigte sich nicht. Er hatte sein Haus auf ehrliche Weise verdient.
“Das Dinner ist fertig, wenn du jetzt essen möchtest. Azucena ist eine großartige Köchin. Sie hat ein Gericht zubereitet, das sich
camarónes con ajo
nennt, Shrimps mit Knoblauch.”
“Klingt köstlich. Danke ihr bitte in meinem Namen”, erwiderte Lorraine.
“Das werde ich.” Thomas zeigte seiner Tochter das Bad, damit sie sich frisch machen konnte.
Minuten später kehrte sie zurück. Auf dem Tisch standen Schüsseln mit Reis, Tomaten und den köstlich duftenden Shrimps.
Lorraine setzte sich. “Wann kommt das Baby deiner Haushälterin?”
“Es kann jeden Tag so weit sein”, erklärte er, reichte ihr den Reis und hoffte, weiteren Fragen zu entgehen.
“Waren das ihre Kinder da draußen?”
Thomas nickte.
“Sie hat einen schönen Namen.”
“Er bedeutet Lilie.”
Die Ironie der Situation entging ihm durchaus nicht. Azucena war wirklich einmal nichts weiter als seine Haushälterin gewesen. Die Schule hatte sie für ihn angeheuert, und sechs Monate lang war sie ihm nicht mal aufgefallen. Sein Haus war makellos sauber, und abends stand eine Mahlzeit auf dem Tisch. Darüber hinaus nahmen die Anforderungen des Lehrerberufes ihn völlig in Anspruch. Er hatte nie vorgehabt, mit Azucena ins Bett zu gehen. Er war verheiratet, obwohl niemand in El Mirador von seiner amerikanischen Ehefrau wusste. Außerdem wollte er nichts tun, was bei einer von der Kirche unterstützten Schule Missfallen erregen konnte.
Bis heute hatte der Schulleiter seine Lebensumstände jedoch nicht
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