Der Stern von Yucatan
gestellt, so wenig wie er ihre. Er hatte einer vermeintlich verheirateten Frau seine Gefühle nicht gestehen können, und sie hatte ihn in der Annahme über ihren Familienstand im Unklaren gelassen, es bliebe genügend Zeit, ihm die Wahrheit zu sagen.
Wenn er jetzt starb, hatten sie beide verloren.
Ihr Vater setzte sich zu ihr. Nach den ersten besorgten Fragen ließ er sie in Ruhe, und sie war ihm dankbar dafür. Er schien zu begreifen, dass sie diese Sache zu Ende bringen musste, wie immer das Ende auch aussah.
Im Krankenhaus wurde es still. Die Nacht senkte sich herab, als sie allein an Jacks Bett saß. Sie hielt seine Hand und presste die Lippen auf die Innenseite seines Handgelenks.
“Wenn du erst mal hier raus bist”, begann sie, “werden wir …”
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Der Herzmonitor begann zu piepen, ein durchdringender Alarm, der die Nacht zerriss, dass das Personal angerannt kam. Auf der elektronischen Anzeige erschien eine lange, gerade Linie. Herzstillstand.
Gary Franklin war entschlossen, Marjories Kündigung nicht anzunehmen. Die Entscheidung traf er nicht aus persönlichen Gründen, redete er sich ein, sondern im Interesse der Firma. Nach monatelangem Training hatte Med-X eine Menge Geld in Marjorie Ellis investiert. Es wäre eine Schwächung der gesamten Organisation, wenn sie jetzt ginge.
Wie erwartet, fand er ihren kurzen Brief Montagmorgen auf seinem Schreibtisch. Er schnappte ihn sich und ging forsch damit in ihr Büro.
Marjorie sah auf, als er eintrat und die Tür schloss. Sie wirkte überrascht. “Ich kann das nicht akzeptieren”, erklärte er.
“Kannst du nicht, oder willst du nicht?”, forderte sie ihn heraus.
“Beides.” Er erklärte es betriebswirtschaftlich, dass Med-X eine beträchtliche Summe verlieren würde, wenn sie jetzt ginge.
“Dann arbeite ich meinen Nachfolger ein, ehe ich gehe”, bot sie an.
Er zögerte.
“Du kannst mich nicht zwingen, weiter hier zu arbeiten.”
Ein Punkt für sie. “Nein, aber ich betrachte es als persönlichen Gefallen, wenn du die Firma nicht in einer schwierigen Zeit verlässt. Außerdem machst du dich ganz wunderbar hier, und wir verlieren nur ungern gute Mitarbeiter.”
Marjorie sackte in ihrem Stuhl zusammen. Er bemerkte, dass sie bereits den halben Inhalt ihrer Schubladen in einen Karton gepackt hatte.
“Ich hoffe, du überlegst es dir anders.”
Sie wollte ihn nicht ansehen. “Ich kann nicht, und ich werde nicht.”
“Wenn es das ist, was du wirklich willst, okay, aber …” Er fand keine diplomatische Art, ihr zu sagen, wie wichtig es ihm war, dass sie bei Med-X blieb. Zur Hölle mit der Firma. Er wollte aus rein privaten Gründen, dass sie blieb. “Warum ist es dir so wichtig zu gehen?” Zuerst hatte er angenommen, es sei wegen seiner … Annäherungsversuche gewesen. Doch dann waren ihm Zweifel gekommen, als er über ihre Reaktionen und Bemerkungen nachgedacht hatte. Sie hatte gewollt, dass er sie küsste, und hatte es ebenso genossen wie er.
“Warum?” Sie hob den Kopf und sah ihn verständnislos an. “Du bist mit einer anderen verlobt. Ich will nicht deine letzte Affäre sein. An so etwas bin ich nicht interessiert, Gary.”
“Eine Affäre?” Er erstickte fast an dem Wort. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass sie so etwas unterstellen könnte.
“Was soll ich denn sonst denken?”, verteidigte sie sich. “Darauf wäre es doch hinausgelaufen.”
Leider konnte er weder die erotische Anziehung zwischen ihnen leugnen, noch ihre Vermutung über den Fortgang der Dinge. Sie wären im Schlafzimmer gelandet. “Du hast recht”, bestätigte er nachdenklich.
“Ich will dieser Frau nicht wehtun, die versprochen hat, dich zu heiraten.”
“Lorraine”, half er ihr mit dem Namen aus.
“Außerdem möchte ich nicht an einer unmoralischen Büroaffäre beteiligt sein.”
Das war wie ein Schlag ins Gesicht. “Ich wollte nicht …” Er war zu durcheinander, um fortzufahren.
“Doch, du wolltest. Wir beide wollten es.”
“Okay”, erwiderte er und dachte schnell nach. “Aber da wir jetzt die Fallstricke kennen, sind wir vorsichtig. Bevor du einen guten Job aufgibst, schlage ich vor, du nimmst dir ein paar Tage und denkst über alles gründlich nach.”
Sie schien das abzuwägen.
“Es ist leicht, sich von seinen Gefühlen hinreißen zu lassen, aber du bist wichtig für die Firma.”
Und für mich.
Aber das sagte er ihr nicht.
Stirnrunzelnd nagte Marjorie an ihrer Unterlippe.
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