Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Zuerst dachte sie, dass es die Trauer über Christians Tod war, die in ihr wütete. Und die Angst vor dem, was kommen würde. Schwer lag der goldene Sporn in ihrer Hand und sie fragte sich, wie sie Christians Vermächtnis erfüllen sollte.
Rache an Ritter Rantzau.
Die Welt stand still. Doch dann wurde der Schmerz immer heftiger, dringlicher, drängender. Es war, als ob etwas in ihr zerreißen wollte. Sie keuchte und krümmte sich zusammen, während Farid sie stützte. Und bevor sie noch begreifen konnte, was geschah, sprach er aus, was sie bis zuletzt nicht hatte wahrhaben wollen.
»Das Kind kommt, Sophie.«
Leben und Tod, Tod und Leben – auch in diesem Moment, an diesem Tag, der doch nach Einhalt und Stille verlangte, pochte die Natur trotzig auf ihr Recht. Voran, voran – so schrie ihr Körper und sie konnte nicht anders, als dem unerbittlichen Drängen zu folgen.
Wie ein Boot auf stürmischer See schleuderte sie durch das aufgepeitschte Wasser und immer schneller schlugen die Wellen über ihr zusammen. Sie schrie und schrie, schnappte nach Luft und dachte, dass sie in diesem Meer aus Schmerz ertrinken würde.
Farid, der sie hielt und ihr mit angstgeweiteten Augen seine Liebe versicherte, versuchte, sie den Hügel hinunterzuschaffen.
»Wir brauchen Hilfe.«
Doch sie wollte nicht, wollte bei Christian bleiben, sich auf sein Grab legen, auch sterben und alles hinter sich lassen. Und so wehrte sie sich, schlug und biss und kratzte, bis Farid sie zuletzt in seine Arme nahm und sie wie ein widerspenstiges Kind die Terrassen hinabtrug.
Irgendwie schafften sie es hinunter zum Haus des Hofgelehrten. Und während Farid an die Tür pochte, wand sie sich vor Schmerzen. Catharina, würde Catharina ihnen helfen können? Sie hatte gerade selbst entbunden, einen gesunden Jungen, wonnig und rund. Mit stolzgeschwellter Brust war der Hofmathematicus durch die Gärten spaziert und hatte sein Glück verkündet.
»Wer ist da?«
Es war noch früh, die Amseln stimmten gerade erst ihr Morgenlied an. Hinter der Tür war die schlaftrunkene Stimme des Gelehrten zu vernehmen.
»Ich bin es, Farid … Und Sophian, wir …«
Ein spitzer Schmerzensschrei von Sophie überlagerte die Antwort des Hausherrn. Die Tür schlug auf und Olearius starrte erschrocken zu ihnen heraus. Sein Blick sprang von Farid zu Sophie, dann zurück, bis er begriffen hatte. Ein Lächeln malte sich auf sein Gesicht, er murmelte etwas in sich hinein, als ob er eine langgesuchte Formel gefunden hätte. Gütig wie ein Vater breitete er die Arme aus.
»Kinder«, hörte Sophie ihn sagen, bevor ihr schwarz vor Augen wurde. »Kinder, Kinder, kommt schnell herein.«
Die Geburt war schwer. Und ohne die Hilfe von Catharina Olearius hätte Sophie es vielleicht nicht geschafft. Über Stunden irrte sie durch ein Labyrinth unvorstellbarer Schmerzen. Jede Wehe schien sie in einen toten Winkel zu führen. Kein Fortkommen, nirgends.
Doch Olearius’ Frau blieb ruhig und gelassen, sie wusste, was zu tun war. Vor wenigen Wochen erst hatte sie sich selbst in Schmerzen gekrümmt, den herzoglichen Arzt angeschrien und ihren Mann und ihre Lust verflucht. Nun scheuchte sie die Männer nach heißem Wasser und sauberen Tüchern, nach Kräutern und Tee, während sie Sophie ein Lager bereitete, ihr das Kreuz massierte und sie stützte, wenn der Schmerz durch ihren Körper raste.
»Es ist ein großes Kind«, sagte sie, während sie Sophies geschwollenen Bauch betastete. »Aber es liegt richtig und ist auf einem guten Weg. Gott hat sich alles so erdacht – es ist mühsam, aber es muss so sein. Du wirst es schaffen, du musst es nur wollen.«
Doch Sophie wollte nicht, etwas in ihr sperrte sich dagegen, das Kind in die Welt zu entlassen. Catharina, die ihr immer wieder unter das Hemd zwischen die Beine fasste, behauptete, dass ihr Körper sich inzwischen weit geöffnet hätte.
»Es passt, Sophie, es wird gehen. Du musst pressen, Liebes, pressen. Das Kind darf nicht stecken bleiben. Es muss hinaus, es muss bald hinaus«, hörte Farid die Kommandos der Helferin. »Es wird dich schon nicht zerreißen, komm, voran!«
Farid fühlte sich schrecklich. Er litt mit Sophie und konnte ihr doch nicht helfen. Was hatte er Sophie angetan? Was hatte seine Liebe ihr angetan? Er dachte an seine Mutter, die er nie kennengelernt hatte, weil sie bei seiner Geburt gestorben war. Und Sophie hatte ihm erzählt, dass ihre Mutter sich nicht mehr von Melissas Geburt erholt hatte. Auch sie ruhte unter der
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