Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
seiner Mutter gesehen hatte, fiel ihm etwas Glitzerndes entgegen. Es war ein goldener Sporn. Christian wusste, dass der Adel Sporen als Zeichen seiner Ritterwürde trug. Auf der Innenseite des kostbaren Bügels waren ein Name und ein Wappen eingraviert.
Christian versuchte gar nicht erst, die Buchstaben zu entziffern – er konnte kaum lesen. Sophie war darin immer geschickter gewesen, er hatte sich auf sie verlassen können. Doch ein Wort kam ihm bekannt vor: Christian . Das war sein Name. Das Wappen zeigte einen Helm mit Büffelhörnern. Nachdenklich betrachtete er den Sporn. Wie war er in die Hände seines Vaters gelangt? Und warum hielt er ihn in der Stunde seines Todes umklammert? War er etwa ein Hinweis auf seinen Mörder? Christian würde seinen Fund verstecken müssen. Der Eigentümer würde den Verlust sicher bald bemerken und nach dem Sporn suchen. Plötzlich brannte das Gold wie Feuer in seinen Händen, Angst kroch seinen Nacken empor. Die Heide begann zu flüstern und die Bäume bewegten sich wie vielarmige Riesen auf ihn zu.
Hilflos sah Christian sich um. Es war inzwischen fast dunkel, dennoch sprangen ihm einige Plätze ins Auge, wo man den Sporn verstecken könnte. Eine auffällige Ansammlung von Feldsteinen etwa. Oder eine mächtige Eiche am Fuß des Hügels. Schließlich entschied Christian sich für einen verwachsenen, fast schon morschen Baum westlich des Hügels. Etwa in Augenhöhe hatte er am späten Nachmittag eine Spechthöhle in seinem Stamm entdeckt. Auf Zehenspitzen stehend schob er den gebogenen, spitzen Dorn in die ovale Öffnung, dann stopfte er Heidekraut und Moos hinterher. Von außen war nicht zu erkennen, was sich in der Bruthöhle verbarg. Christian war sich sicher, dass er diesen Baum auch nach Jahren noch wiedererkennen würde. Sein Wuchs erinnerte ihn an den krummen Buckel des Schleswiger Schulmeisters.
»Magister Pfeiffer«, murmelte er den Namen des wenig beliebten Lehrers wie einen Merkspruch vor sich hin. »Der bucklige Pfeiffer …«
Nun aber galt es, die Seele seines Vaters dem Himmelreich zu empfehlen. Flüsternd, so, wie er es bei der Beerdigung seiner Mutter beobachtet hatte, beugte er sich über den Toten und murmelte die Worte und Gebete, an die er sich noch zu erinnern vermochte. Wieder liefen Tränen über seine Wangen, salzig vermischten sie sich mit dem Strom der Worte, der über seine Lippen floss. Ein letztes Mal küsste er die Wangen des Vaters, die von einem weichen, rotblonden Bart bedeckt waren, und blickte ihm in die starren Augen, die ihren Glanz schon nach dem Tod der Mutter verloren hatten. Dann schloss ihm Christian sachte die Lider und begann, die Kleider des Vaters mit Ossen-Schröders Rum zu tränken.
Das Feuer schoss wie eine Säule in den Himmel empor. Schon nach wenigen Sekunden leckten die Flammen am Körper des Toten. Christian wandte den Blick ab. Leer und erschöpft taumelte er zur Seite und ließ sich dort ins Gras fallen. Seine Gedanken flüchteten sich an den sicheren Ort seiner Kindheit. Eine abendliche Runde kam ihm in den Sinn, die Familie, die am Feuer beisammen saß, Brot und Grütze teilte, geborgen im Schutz ihrer Hütte und der Wärme der Flammen.
Unbewusst setzte Christian sich eine der Rumflaschen an die Lippen und trank den Rest in einem Zug. Das Gebräu brannte auf der Zunge, fraß sich die Kehle hinab und sein scharfer Geschmack ließ ihn husten. Doch als der Rum seinen Magen erreicht hatte und diesen mit öliger Wärme auskleidete, schenkte ihm der Branntwein wohligen Trost.
Christian verlangte nach mehr, nach und nach trank er den restlichen, noch in den Flaschen verbliebenen Schnaps bis auf den letzten Tropfen. Ein Seufzer löste sich von seinen Lippen, verwundert genoss der Junge den Schwindel des Rausches, der wie ein Freund zu ihm gekommen war. Dann schlief er ein, eine der Flaschen hielt er wie einen kostbaren Schatz im Arm.
Die Nacht war angebrochen, schwarze Schleier hatten sich über die Heide gelegt, allein das Feuer tauchte die Ebene in ein unheimliches Licht. Die Flammen loderten über Stunden und nur zaghaft verflüchtigte sich der süßliche Geruch verbrannten Menschenfleisches in der windstillen Nacht.
ACHT
»Verflucht! …« Erst am nächtlichen Lager bemerkte Christian Rantzau den fehlenden Sporn. Er hatte die Beine am Feuer ausgestreckt und zog eben die schweren Stiefel aus, als ihm auffiel, dass er den Bügel an seinem linken Absatz verloren hatte.
Der kostbare, goldene Dorn … Wütend sprang er
Weitere Kostenlose Bücher