Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)

Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
Vom Netzwerk:
Vaters liegen. Er bemerkte eine Wunde an seiner Schulter, sonst schien er unversehrt. War er nur bewusstlos? Zitternd sank Christian auf die Knie und versuchte, den schweren Körper zu drehen. »Vater!«, schrie er. »Vater …« Die Fürbittengebete fielen ihm ein, ein Durcheinander an Worten, die allesamt Hoffnung in sich trugen: »Allmächtiger, ewiger Gott«, murmelte er, »du bist in deinem Sohn Jesus Christus zu uns gekommen. Du lehrst und tröstest uns durch die Kraft des Heiligen Geistes. Die Dunkelheit muss dem Licht des kommenden Christus weichen …«
    Christian wusste nicht weiter, er schluchzte auf. »Erhöre unser Gebet, barmherziger Gott und Vater, durch unseren Herrn Jesus Christus … Amen.«
    Endlich war es ihm gelungen, den Vater auf den Rücken zu drehen. Der Anblick war entsetzlich: Die Männer des Herzogs hatten ihm die Kehle durchbohrt. Die Wunde zog sich quer über den Hals, wie ein zweiter Mund klaffte der Riss. Blut und Schmutz hatten sich zu einer zähen Masse verbunden, die Gesicht und Brust bedeckte. Das hier war nicht mehr sein Vater, das war die unmenschliche Fratze eines heimtückischen Mordes.
    Der Schmerz überfiel Christian wie ein wütendes Ungeheuer. Es hockte sich auf seine Brust, hämmerte gegen seine Schläfen, versuchte, ihm das Herz herauszureißen. »Vater«, schluchzte er wieder und wieder auf. »Mein Vater …« Tränenströme stürzten über seine Wangen und die Trauer schüttelte ihn.
    Die Tränen schwemmten das alte Leben fort. Zuletzt sank er erschöpft über seinem Vater zusammen und umarmte dessen Körper. Ein letzter Rest von Wärme strömte ihm entgegen, der Geruch nach Rauch und etwas anderem, das nur zu seinem Vater gehört hatte, umfing ihn.
    Was sollte er tun? Christian suchte nach einem Halt. Er dachte, dass er seinen Vater beerdigen müsste – irgendwie. Er konnte den Leichnam doch nicht einfach so auf der Heide zurücklassen. Und danach? Würde er allein nach Schleswig zurückfinden?
    Sophie … Das Gesicht seiner Schwester blitzte im Strudel seiner Gedanken auf. Was würde seine Schwester tun? Christian wusste, dass sie sich nicht tatenlos in ihr Schicksal fügen würde. Sie gäbe nicht auf, sondern würde trotzig gegen das Unglück anrennen.
    Die Dämmerung senkte sich mit Macht über die Heide. Wolken, die von Westen her aufzogen, lagen wie schlafende Riesen über dem Land. Christian bemerkte, dass ein letzter Rest Glut in der Feuerstelle auf dem Hügel glimmte. Zögernd stand er auf und sah sich um. Der Sack mit Feuerholz, den er zurückgelassen hatte, fiel ihm ein. Und der Vorrat an Rum, drei oder vier Flaschen, die Ossen-Schröder zwischen seinen Habseligkeiten hortete. In seinen Gedanken wurden Funken zu Flammen und wieder wallte Übelkeit in ihm auf. Christian vergrub das Gesicht in seinen Händen und dachte nach. Sollte er das wirklich tun? Könnte er den Leichnam seines Vaters verbrennen? Und wäre das nicht ein Verbrechen gegen alle Gebote der Kirche, ein heidnischer Brauch?
    Andererseits: Was blieb ihm anderes übrig? Er wollte seinen Vater nicht auf der Heide lassen. Die Vorstellung, wildes Getier, etwa Füchse und Krähen, könnten sich an seinem toten Fleisch satt fressen, ihm die Augen auspicken und Gedärme herauspflücken, schüttelte Christian. Albträume würden ihn für den Rest seines Lebens quälen. Doch wie sollte er den Vater von der Stelle bewegen? Die Ochsen waren fort und die Schergen des Herzogs hatten auch das Pferd des Viehhändlers mitgenommen. Dann fiel ihm ein, dass es in Zeiten schwerer Pest- und Choleraerkrankungen sowie während des Kaiserlichen Krieges erlaubt gewesen war, die Toten zu verbrennen.
    Wie in Trance stolperte Christian über den Hügel, um auf der anderen Seite nach dem Sack mit Feuerholz zu suchen. Schließlich fand er das Holz – es war ein Wunder, dass die Männer des Herzogs nicht darüber gestolpert waren. Schluchzend schleifte er den Sack zu seinem Vater zurück. Dann suchte er in der Nähe nach einer geeigneten Stelle, um das Feuer zu entzünden. In einer Senke entdeckte er eine trockene Kuhle, die ihm günstig erschien. Hastig schichtete er das Holz auf, dann taumelte er erschöpft zum Körper seines Vaters. Mit letzter Kraft umfasste er seinen Brustkorb und schleifte den Körper etwa vierzig Schritte zur Senke.
    Es war schrecklich mühsam, doch endlich hatte er ihn auf das Totenbett aus Holz gebettet. Als er die Hände des Vaters über der Brust falten wollte, so wie er es bei der Beerdigung

Weitere Kostenlose Bücher