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Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)

Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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leuchten schien, war merkwürdig. Plötzlich stand Rantzau sein nächtlicher Traum wieder vor Augen, und unruhig trieb er den Wallach an, vom Trab in einen leichten Galopp zu wechseln.
    Auch der Wanderer bemerkte die Reiter nun. Rantzau beobachtete, wie sich die schemenhafte Gestalt wegduckte und dann vom Weg huschte. Von einigen Büschen verdeckt, verschwand das Wesen aus seinem Blickfeld.
    Du wirst mich nicht in die Irre locken können, dachte er und trieb sein Pferd mit wilden Tritten in die Flanken an. Er wartete darauf, dass sein Jagdtrieb erwachte, doch da war nichts als Leere und das diffuse Gefühl von Schuld. Wieder leuchtete ihm das Traumbild der Jungfrau entgegen, und wieder verführte ihn ihre herzzerreißende, unschuldige Blöße. Er spürte, dass sich ein verräterischer Schluchzer aus seiner Kehle lösen wollte. Entsetzt stürmte er seinen Männern davon.

    Er war noch nicht lange unterwegs. Christian hatte zwei oder drei Stunden schlafen können, der Rum hatte ihn gewärmt – und das Feuer in seinem Rücken. Als er aufgewacht war, hatten die Flammen ihr Werk vollbracht. Kaum etwas war vom Körper seines Vaters übrig geblieben. Silbrige Asche und einige verkohlte Knochen bedeckten den Boden der Senke, vereinzelt leuchteten Glutpunkte auf. Ein schwacher Geruch nach verbranntem Fleisch hing in der Luft.
    Todesgeruch, dachte Christian. Benommen fasste er in die noch warmen Ascheflocken, unter der Berührung zerstoben die flüchtigen Gebilde zu noch feinerem Staub. Und endlich begriff er, was geschehen war. Trauer durchflutete seinen Körper und dazu Wut. Wut über das Schicksal, das ihm erst die Mutter und jetzt noch den Vater genommen hatte. Zorn gegen einen Gott, der all dies zugelassen hatte. »Ich bin doch noch ein Kind«, schrie er in die Morgendämmerung und ließ anklagend die Asche seines Vaters durch die Finger rieseln. »Ein Kind …«
    Ganz und gar außer sich sprang er in die Asche seines Vaters, wirbelte sie mit den Füßen auf und tanzte einen verzweifelten Tanz. Ein sanfter Wind trug die Flocken, die letzten pudrigen Spuren des Toten, über die Heide davon.
    Als die Erschöpfung über seine Wut triumphierte, sackte Christian in einem letzten Rest Asche zusammen. Er war nun ganz und gar zu einer geisterhaften Erscheinung geworden, merkwürdig blass und weiß – wie mit Mehl bestäubt. Immer wieder strich er mit den Händen über die staubige Schicht auf seiner Haut, die sich wie eine letzte, liebevolle Umarmung des Vaters anfühlte.
    Es war Sophie, die ihm sagte, was er nun machen sollte. Ihre Stimme drang plötzlich so deutlich an sein Ohr, dass er den Kopf wandte, um zu sehen, ob sie nicht vielleicht hinter ihm stand.
    »Komm zurück zu mir«, flüsterte ihre Stimme. »Komm zurück und bring den Vater mit!«
    Bevor Christian sie noch fragen konnte, wie er das anstellen sollte, sah er, wie sich die ersten Strahlen der Morgensonne im Glas der Rumflaschen brachen. Es war wie ein Zeichen und Christian verstand. Sorgfältig scharrte er die letzten Reste der Asche zusammen und füllte sie in eine der leeren Flaschen. Flüchtige Rumaromen vermischten sich mit dem Geruch des Todes, und für einen Moment erschien ihm die Vorstellung tröstlich, dass sich die Überreste des Vaters nun mit den Wonnen des Alkohols vereinten. Dann verkorkte er die Flasche und hängte sie an seinen Gürtel.
    Kurz bevor er aufbrechen wollte, bedeckte er die übrigen Flaschen und die Feuerstelle noch mit Erde und etwas Heidekraut. Dabei bemerkte er, dass da noch etwas Hartes, Glänzendes auf dem Grund lag. Etwas Metallisches, vom Feuer eingeschmolzen zu einem unförmigen, glitzernden Klumpen. Hatte der Vater noch ein paar Münzen in der Tasche gehabt, ein kleines Messer oder ein anderes Werkzeug, das die Flammen verschlungen hatten? Achselzuckend steckte er den Brocken in die Hosentasche. Noch ein Mal ließ er den Blick über den Hügel und die Ebene wandern und prägte sich den Standort der Eiche ein. Im Gegenlicht der Morgensonne stach der Baum vielleicht doch etwas zu sehr ins Auge, aber Christian hatte keine Kraft mehr, ein anderes Versteck für den Sporn zu suchen. Er nahm Abschied, dann verließ er den verfluchten Ort.

NEUN
    Die Sonne stieg auf ihrer Bahn und erweckte die Landschaft vor ihm. Die Vögel begrüßten den Tag und Insekten summten über das Heidekraut, das sich wie duftende Kissen vor ihm ausbreitete.
    Christian verspürte Hunger, er hatte seit dem gestrigen Morgen nichts mehr gegessen. Er ärgerte

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