Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
die an langen Seilen zogen, die im Wasser trieben.
Die Spannung unter den Festgästen wuchs, sie lag wie flirrendes Sonnenlicht über der Menge und Olearius meinte beinahe, sie mit beiden Händen greifen zu können. Würde der Moment gelingen? Geräuschvoll atmete er ein und seine Frau blickte sich verwundert nach ihm um.
Ein Ruck und die Seile spannten sich. Auf ein Kommando des Hofgärtners und unter dem Crescendo der Trompeten löste sich das Leinentuch von der Statue. Wasserfontänen sprudelten auf, am Rand des Beckens sprühte der Funkenregen eines Feuerwerks.
»Es ist Herkules«, schrie Olearius Catharina ins Ohr, denn die Menge applaudierte und stieß jubelnd Bravorufe aus. »Herkules mit der Hydra!«
Es war ein großartiges Bild: Der Gottorfer Hofbildhauer Cornelis van Mander hatte den überlebensgroßen Riesen im blutigen Kampf mit dem Ungeheuer abgebildet. Bedrohlich kreiste die schwere Keule über dem Kopf des Helden, ein Löwenfellumhang bedeckte dessen muskulösen Körper.
Zu Herkules’ Füßen reckten sich fauchend die Köpfe der schlangenähnlichen Hydra empor, aus ihren aufgerissenen Mäulern sprangen die Brunnenfontänen.
»Was bedeutet das?« Catharina begriff, dass die Skulptur nicht allein als beliebiger Gartenschmuck zu verstehen war.
»Die Statue ist ein Symbol der fürstlichen Macht.«
Olearius warf einen Blick auf die Ritter, die dem Spektakel zunächst mit unbewegten Mienen gefolgt waren. Dann tauschten sie vielsagende Blicke untereinander.
Die Skulptur war ein Affront gegen den versammelten Adel. Herkules verkörperte nicht nur physische Kraft, sondern galt seit jeher als Sinnbild reiner Tugend und vor allem moralischer Stärke. Diese Eigenschaften – Kraft, Stärke und Mut – waren Attribute, mit denen Monarchen sich gerne schmückten.
Herkules mit der Hydra war somit auch als politisches Herrschaftsprogramm zu verstehen: Der Herrscher siegte im Kampf gegen Laster und politische Widrigkeiten, er war der alleinige Urheber und Wahrer von Ordnung, Beschützer seiner Untertanen. Die Stärke des Herkules verdeutlichte also zugleich den Machtanspruch des Fürsten. Herzog Friedrich strebte nach noch mehr Souveränität.
»In seiner Politik folgt Friedrich III . ganz der von seinem Vater Johann Adolf vorgegebenen Linie«, klärte Olearius seine Frau über die Hintergründe des Spektakels auf. »Er will die fürstliche Gewalt auf Kosten der ständischen Mitwirkung stärken.«
»Die Leidtragenden dieser Politik sind also die Wortführer der Stände, die innerhalb der Regierung weiter an Einfluss verlieren?« Catharina war klug, es waren nicht nur ihre körperlichen Reize gewesen, die Olearius bei ihrem ersten Zusammentreffen in Reval fasziniert hatten.
Er nickte. »Trotzdem ist der Herzog auf den Adel angewiesen. Die Ritter sind wohlhabend und als Kreditgeber unverzichtbar. Er muss versuchen, die Balance zwischen seinem fürstlichen Machtanspruch und den Interessen der Stände zu wahren.«
»Dennoch besetzt der Herzog die höchsten politischen Ämter mit gelehrten Räten.« Catharina zeigte auf den Kanzler, der sich heute im Glanz seines Herrn sonnte.
Olearius nickte. »Ja, die wichtigsten politischen Angelegenheiten bespricht der Herzog in einem kleinen Kreis enger Berater. Kielmann und die Geheimen Räte gehören dazu.« Vage zeigte er auf eine Reihe dunkel gekleideter Herren, die sich ebenfalls unter den Schaulustigen befanden. »Der Adlige als Rat von Haus aus ist in den Herzogtümern nicht mehr gefragt. Statt seiner bedienen sich die Landesherren jetzt juristisch gebildeter Räte aus dem Bürgertum. Diese dirigieren die politischen Geschäfte und wenden sich bisweilen sogar gegen den Adel. Die Ritter werden sich in Zukunft entscheiden müssen: Entweder treten sie den Dienst bei Hof an, bekleiden dort also Ämter, die einträglich sind, aber nicht mehr die Position der Ritterschaft, sondern nur noch die des Königs oder Herzogs stärken …«
»Oder?«
»Oder sie konzentrieren sich auf das Landleben und die Bewirtschaftung ihrer Güter. Der Herzog jedenfalls strebt danach, eine Verwaltung mit einer festen Kanzlei und Beamten aus dem Bürgertum aufzubauen. Der Staat benötigt in diesen Zeiten fähige Köpfe und nicht nur Krieger. An die Stelle des ritterlichen Schwertes tritt mehr und mehr die Feder des Kanzleibeamten.«
»Das erklärt die Begeisterung des Adels.« Lachend zeigte Catharina auf die Ritter, die ihren Ärger über den kraftstrotzenden Herkules nur mühsam
Weitere Kostenlose Bücher