Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
verbergen konnten. Die Männer blickten mit unbewegter Miene auf das Schauspiel vor ihrer Nase.
Olearius lächelte, doch er fürchtete, dass sich die Ritter nicht ohne Gegenwehr in ihr Schicksal fügen würden. Der Stolz und die Ehre ihres Standes verpflichteten die alteingesessenen Familien zum Widerstand gegen eine uneingeschränkte herzogliche Politik. Die Ritter waren Krieger, sie waren Falken, keine Tauben, und so würde es immer bleiben. Unter der Oberfläche ihrer scheinbar gleichgültigen Mienen musste das Blut kochen und die nächste unbedachte Entscheidung des Herzogs könnte den offenen Kampf provozieren. Besorgt dachte Olearius an die Ankündigung des Herzogs, die Steuern erhöhen zu wollen.
»Wann wird der Herzog mit dir sprechen?« Catharina wechselte das Thema.
Olearius hatte seiner Frau von der überraschenden Wendung seines gestrigen Besuchs beim Herzog berichtet. Zögernd hob er die Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht am Abend, wenn die Feierlichkeiten beendet sind? Soviel ich weiß, hat er die Ritter jetzt noch zu einem Bankett geladen.«
Er zeigte auf den Pavillon, wo Lakaien aufmarschierten. Schon vor Stunden hatte man begonnen, Speisen und Getränke in das provisorische Gartenzimmer zu schaffen. »Vielleicht wird er mich auch morgen zu sich rufen lassen – oder nächste Woche. Er hat ein halbes Jahr nicht an mich gedacht, da kommt es nun auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht mehr an.«
Nachdenklich sah Catharina ihn an und ihre sanften Augen blickten geradewegs in seine Seele. »Du brennst vor Tatendrang, mein Lieber. Noch eine Verzögerung könntest du nicht ertragen.«
ELF
Der Herzog war zufrieden. Noch einmal wanderte sein Blick über den riesenhaften, bärtigen Herkules, den sein Hofbildhauer dem Sandstein abgetrotzt hatte. Der Effekt war gewaltig, so wie er es beabsichtigt hatte. Der Koloss, von dreifacher Körpergröße und wuchtiger Präsenz, würde von sich reden machen – nicht nur in den Herzogtümern und im Reich, nein, von diesem Riesen und seiner Kraft würde ganz Europa sprechen! Schließlich schlug dieser Herkules auf die sich windende Hydra ein, als gelte es, die Welt von allem Übel zu befreien. Und dann der Brunnen selbst – er war ein technisches Meisterwerk: Komplizierte, unterirdisch verlegte hölzerne Rohrleitungen, sogenannte Pipenbäume, die nur in den Fontänen aus Blei gefertigt waren, führten das Wasser aus einem höher gelegenen Becken herbei.
Herzog Friedrich erinnerte sich: Schon als Kind hatten ihn die Heldentaten des Herkules bis in den Schlaf hinein verfolgt. Immer wieder hatte er von dessen sagenhaften Kämpfen geträumt, und die Traumbilder waren von so großer Intensität gewesen, dass er sich noch als Erwachsener daran erinnern konnte.
Neben Herkules’ Sieg über den Nemeischen Löwen, dessen unverwundbar machendes Fell der Held seither trug, hatte vor allem der Kampf gegen die Schlange Friedrichs kindliche Fantasie beschäftigt. Herkules hatte dem Ungeheuer seine vielen Köpfe abschlagen können, danach hatte er deren Nachwachsen durch Ausbrennen der Wunden listig verhindert.
Auf vielen Blättern hatte Friedrich während seiner Kindheit, detailverliebt und mit erstaunlicher Präzision, unzählige Varianten dieser dramatischen Szenen skizziert, bis seine fromme Mutter ihm schließlich verboten hatte, noch mehr Drachen zu malen. »Das sind Einflüsterungen des Teufels«, hatte sie sich bekreuzt, bevor sie die Zeichnungen an sich gerissen und in der Küche hatte verbrennen lassen.
Doch der Junge hatte einige dieser kostbaren Blätter retten können. Wie einen Schatz hatte er die Skizzen gehütet und hinter einem losen Mauerstein in den Kellern von Gottorf versteckt und schließlich, mehr als dreißig Jahre später, seinem Bildhauer Cornelis van Mander übergeben.
Die Skulptur des Riesen war also seinem Geist entsprungen, den Fantasien des siebenjährigen Friedrichs, der, über seinen Büchern sitzend, von den Heldentaten der antiken Sagengestalten träumte. Der sich an die Stelle des göttlichen Knaben sehnte, welcher schließlich unter Hirten zu einem Jüngling mit unvorstellbaren Kräften herangewachsen war.
Natürlich hatte Friedrich auch Stiche mit Vorbildern gesehen, den großartigen Herkulesbrunnen des Adrian de Vries in Augsburg etwa. Trotzdem war der Gottorfer Koloss einzigartig, und nur hier, im Zusammenspiel mit der neuartigen Gartenarchitektur, entfaltete sich sein besonderer Reiz. Friedrichs Kinderträume hatten Gestalt
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