Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
von Söldnern überrascht worden. Die Fantasie des Mädchens reichte nicht aus, um sich auszumalen, was die entfesselten Kerle der Freundin angetan haben mochten. Doch sie wusste, dass es etwas Unaussprechliches war, und schwieg.
»Ich könnte deine Schwester bei mir behalten.« Johanna blickte sie wieder an. »Sie ist wie eine Tochter für mich und später könnte ich mein Wissen an sie weitergeben.«
Nun sah Sophie zur Seite, sie kämpfte mit den Tränen. Für einen Moment hatte sie gehofft, die Amme würde sie ebenfalls zu sich nehmen. Als Johanna den Arm um sie legte, nickte sie.
»Ich weiß, es ist schwer«, flüsterte Johanna. »Und glaube mir, ich wünschte, ich könnte dich bei mir behalten. Aber meine Einkünfte reichen eigentlich nur für mich allein. Und Ersparnisse habe ich nicht. Du bist willensstark, du hast einen hellen Kopf, du kannst dir etwas Eigenes suchen. Und wenn du in Not bist, kannst du jederzeit zu mir kommen.«
»Was kann ich denn tun?«
»Du bist doch geschickt und du lässt dich nicht entmutigen. Es wird sich etwas für dich finden. Vielleicht versuchst du es oben im Schloss? Der Herzog baut an einem neuen Garten und es heißt, fleißige Helfer sind dem Gartenmeister willkommen.«
»Wann soll ich gehen?«
»Du wirst schon wissen, wann es Zeit ist, aufzubrechen.« Johanna zog Sophie noch enger in ihre Arme und der herbe Geruch der Kräuterfrau tröstete und beruhigte das Mädchen. Für einen Moment lauschten sie den Geräuschen des Waldes und beobachteten die Vögel, die sich geschickt durch das Gewirr der Äste bewegten.
Als ein Eichhörnchen wie ein Kobold über die Lichtung flitzte und sein buschiger Schwanz in einem Lichtstrahl aufleuchtete, konnte Sophie wieder lächeln.
»Wie wollen wir sie nennen?«
Verständnislos sah Johanna sie an.
»Meine Schwester, sie hat noch immer keinen Namen.«
Lachend stand Johanna auf und zog das Mädchen an ihre Seite.
»Sie ist ein freundliches Wesen, sanft und bescheiden. Wie die Melisse, die ganz und gar unscheinbar in einer Ecke des Gartens wächst und doch besonders ist in ihrer Heilkraft.«
»Also Melissa …?«
»Melissa …« Johanna spürte dem Klang des Namens nach. »Ja, das passt. Johanna und Melissa …« Sie nahm das Kind auf den Arm und sprach es an: »Kleine, zarte Melissa …«
Als sich darauf ein Lächeln über das Gesicht des Kindes zog, lachten Johanna und Sophie. Zärtlich küssten sie das Kind auf seine rosigen Wangen.
Das Schloss also … Als Sophies Zukunft Konturen angenommen hatte, atmete sie auf. Sie dachte zurück an ihren letzten Besuch auf Gottorf, an die düsteren Bilder der Hinrichtung und auch an die Aufregung, die sie auf dem Schlossplatz verspürt hatte. Beim Blick auf die Fassade hatte sie sich gefragt, was sich wohl hinter den trotzigen Mauern abspielen mochte. Und die Gestalt des Herzogs, die Gerüchte und Geschichten, welche die Kaufleute verbreiteten, lösten etwas in ihr aus, das sie nicht in Worte fassen konnte.
Schloss Gottorf, dachte sie, und plötzlich konnte sie es nicht erwarten, in dieses neue, fremde Leben aufzubrechen. Die Trauer um Vater und Bruder schien der Aufregung, die sie in ihrem ganzen Körper spürte, zu weichen.
Wie befreit machte sie sich daran, die Hütte am Lollfuß zu räumen. Sie verschenkte die wenigen einfachen Möbel an die Nachbarn, trieb die Hühner zu Johanna und auch das Kochgeschirr, Messer und Löffel, brachte sie zu ihr. Für Melissa wählte sie ein buntes Tuch der Mutter aus, welches sie ihr als Andenken lassen wollte. Für sich selbst nahm sie eine Pfeife, die der Vater aus Wurzelholz geschnitzt hatte, eine Hose und die lederne Weste des Bruders. Als sie die Nase in das weiche Leder drückte, meinte sie Christians Geruch wahrzunehmen und für einen Moment zweifelte sie am Tod des Bruders.
Der letzte gemeinsame Abend mit Johanna und Melissa auf dem Holm war fröhlich und traurig zugleich. Johanna hatte ein Kaninchen gebraten, sie wollte nicht sagen, ob sie das Tier gekauft oder heimlich im Wald gefangen hatte. Dazu gab es wilde Kräuter, die sie im Bratensaft gedünstet hatte. Sophie hatte noch nie so gut gegessen und sie wischte ihren Teller mit einem Stück Brot sauber. Als sie dachte, sie wäre satt für den Rest ihres Lebens, tischte Johanna noch eine Grütze aus Sommerbeeren auf, dazu gab es Rahm und Apfelwein. Sophie stöhnte vor Wonne.
»Damit du gut schläfst und uns in bester Erinnerung behältst«, lachte Johanna und umarmte sie. »Du brauchst
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