Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Männer verfolgten ihren Auftrag mit großem Ernst. Sie fanden einen ertrunkenen Landstreicher in den Mooren, schreckten ein Liebespaar auf, das in einem abgelegenen Wäldchen beieinander lag, und fingen eine Herde entlaufener Hausschweine ein, doch Ossen-Schröder und seine Männer fanden sie nicht.
Es war der Zufall, der die Schleswiger auf eine Spur der Treiber führte. Ende Juli tauchten Gaukler in der Stadt auf, die auf dem Marktplatz jonglierten und Salti schlugen. Sie waren bunt gekleidet und fremd anzuschauen, ihre exotischen Gewänder sorgten für Aufsehen. Als Ossen-Schröders Frau die Truppe zu Gesicht bekam, schrie sie auf: Einer der Gaukler trug den schönen, schwarzen Lederhut ihres vermissten Mannes.
»Er ist tot«, schluchzte sie auf. Dann ließ sie sich in die Arme einer gnädigen Ohnmacht sinken.
Die Wachen waren schnell vor Ort. Bevor die Truppe im sich anschließenden Tumult fliehen konnte, hatte man die Männer, Frauen und Kinder auch schon in die Verliese des Rathauskellers gesperrt. Und nach drei Tagen Hunger, Durst und Dunkelheit verrieten die Gaukler, wie sie an das Diebesgut – es waren mehrere Stücke aus dem Besitz der Treiber in ihren Wagen gefunden worden –, gekommen waren.
Tatsächlich fand der Suchtrupp Leichenteile auf dem Hügel, zu dem die Gaukler sie führten. Doch die Körper waren stark verwest und die Leichenfledderer hatten alles an sich genommen, was die Männer bei sich getragen hatten. So blieb ihnen nichts, als die fauligen Überreste auf einen Ochsenkarren zu laden und das schaurige Knochendurcheinander nach Schleswig zu bringen.
Die Stadt stand unter Schock. Acht Familienväter hatten ihr Leben verloren. Unter großer Anteilnahme der Bürger und dem Wehklagen der Angehörigen wurde das, was von den Männern übrig geblieben war, auf dem Holm zu Grabe getragen. Die Wut und Empörung der Schleswiger war so groß, dass man die Gaukler noch am selben Abend an den Galgen knüpfte. Bis zuletzt hatten diese zwar ihre Unschuld beteuert, doch der Zorn der Bürger verlangte nach Rache. Während man die um Gnade Bettelnden richtete, jagte man ihre schluchzenden Frauen und Kinder vor die Tore der Stadt. Danach kehrte Ruhe ein.
Sophie war wie gelähmt. Niemals hatte sie daran gedacht, dass Vater und Bruder nicht zurückkehren könnten. Die Hoffnung hatte sie unempfänglich sein lassen für jede unheilvolle Ahnung. Die Nachricht vom Tod der Treiber jedoch stürzte sie in einen Abgrund. Trauer und tiefe Verzweiflung schienen ihr Herz in Stücke reißen zu wollen. Immer wieder rief sie in ihren schlaflosen Nächten die Namen der Toten, und allein Johannas Zuneigung, ihr Trost und ein beruhigender Aufguss aus Anis, Herzgespann und Mutterkraut halfen ihr über die ersten schweren Tage hinweg.
Während der Beerdigung auf dem Holm hielt Johanna sie im Arm, die kleine Schwester trug sie in einem Tuch auf dem Rücken. Sie ließ die Kinder bei sich schlafen und päppelte Sophie mit Ziegenmilch und kräftigen Suppen. Gegen die Albträume des Mädchens jedoch kam sie nicht an. Es brauchte Zeit, das wusste sie, um das Schreckliche zu begreifen.
Erst als die dunklen Träume wichen, Sophies Nächte ruhiger wurden und die dunklen Schatten unter ihren Augen verblassten, war der Moment gekommen, über die Zukunft zu sprechen.
Johanna hatte die Mädchen mit sich in die Wälder genommen, um Wurzeln und Eicheln zu sammeln. Mittags rasteten sie am Fuß einer mächtigen Eiche, deren Krone sich wie das Gewölbe einer Kathedrale über ihnen spannte. Während sie Brot mit Beerenmus aßen und die Kleine verdünnte Ziegenmilch trinken ließen, suchte Johanna unbeholfen nach Worten.
»Sophie, ich werde keine eigenen Kinder mehr bekommen. Als meine Tochter zur Welt kam, blutete ich so heftig, dass ich glaubte, etwas in mir sei in Stücke gerissen. Ich war so schwach, dass ich das Kind nicht retten konnte. Und als es starb, stürzte das Blut noch einmal so stark aus mir heraus, als ob es das Leben selbst wäre, das aus meinem Körper floh. Meine Kräuter haben mich gerettet … aber ich konnte nicht für meine Tochter da sein, verstehst du?«
Sophie nickte beklommen. Tief in ihrem Inneren ahnte sie, was Johanna ihr sagen wollte. »Was ist mit dem Vater des Kindes?«, flüsterte sie.
Johanna machte eine abweisende Handbewegung und ihr Blick verlor sich für einen Augenblick im Nichts.
Einmal hatte Sophie das Gerücht aufgeschnappt, Johanna sei damals, auf einem ihrer Streifzüge durch die Wälder,
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