Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Vater getötet hatte, aber vielleicht würde er dem Mörder auf die Spur kommen können. Doch dazu müsste er bei ihnen bleiben und auf eine Gelegenheit warten, den Vater zu rächen.
Christian zuckte zusammen. Noch einmal sah er die Ereignisse auf dem Hügel in fürchterlichen Bildern. Ein heftiger Schmerz wütete in seiner Brust. Es war, als zöge sich ein Band aus Eisen um sein Herz zusammen. Keuchend sackte er in die Knie und begann zu weinen. Er schniefte, schluchzte, spuckte den Hafer aus. Was sollte er nur tun?
Die Ochsen brachten ihn wieder zur Besinnung. Plötzlich drang das Schnauben der Herde zu ihm durch. Niemand hatte daran gedacht, das Vieh zu tränken. Die Not der Tiere löste ihn aus seiner Erstarrung. Wie in Trance schöpfte er Wasser aus einem Trog in einen Eimer, dann stolperte er durch die Dunkelheit zurück zum Verschlag und tränkte die Ochsen. Wieder und wieder lief er durch den Stall bis auch das letzte Tier seinen Durst gestillt hatte. Dankbar fuhren ihm ihre rauen Zungen über die Hand. Die Tiere brauchten ihn, er war ihr Freund.
Die Männer in ihrem Rausch hatten nichts bemerkt. Nachdenklich betrachtete Christian ihre Schatten, die sich im Stroh abzeichneten. Diese Ungeheuer … Welcher von ihnen war es gewesen? Er trat näher und beugte sich über die im Schlaf schutzlosen Körper. Roch ihren sauren Atem, sah das wirre, struppige Haar.
Sechs Männer – waren es auch sechs Mörder? Vielleicht würde er ihnen nie wieder so nahe kommen? Wenn er doch nur einen Dolch hätte.
Die Mistgabel fiel ihm ein, die er in der Futterkammer entdeckt hatte. Doch dann dachte Christian, dass er mit der Forke viel zu langsam wäre. Er könnte nur einen von ihnen niederstrecken und dessen Geschrei weckte dann den Rest der Bande auf. Man würde ihn töten und nichts wäre gewonnen. Der Sporn fiel ihm ein, doch die Stiefel der Männer waren blank. Keine Sporen. Nein, dachte Christian, in dieser Nacht würde er nicht Rache nehmen können. Er müsste abwarten, bis er sicher wäre, dem Mörder gegenüberzustehen.
Entschlossen griff er nach einer der halb gefüllten Weinflaschen, die zwischen den Männern lagen. Ein letzter Blick, dann schlich Christian zurück zu seinen Ochsen und rollte sich zwischen die Tiere. Ihre Wärme und der Wein trösteten ihn.
Sein Plan stand ihm nun deutlich vor Augen: Er würde nicht fliehen, er würde seine Ochsen nicht im Stich lassen. Wenn er bei den Männern bliebe, könnte er vielleicht irgendwann den Tod des Vaters rächen. Das war eine gewaltige Aufgabe, doch er könnte daran wachsen. Die Zeit wäre seine Verbündete, denn er würde niemals vergessen und vergeben können.
Christian spürte, dass Sophie ihn verstehen würde. Und er vertraute darauf, dass sie sich allein zu helfen wusste. Er konnte ihr nicht mit leeren Händen gegenübertreten. So würde er ja nicht einmal vor sich selbst bestehen. Dann fiel er in einen erschöpften, traumlosen Schlaf.
Der Lärm der Männer weckte ihn am nächsten Morgen. Nach einem hastigen Frühstück – Schinken und hartes Brot, von dem Christian einen Kanten bekam – verließen die Ritter Schloss Gottorf, die Ochsen vor sich hertreibend. Ihnen stand ein langer Ritt nach Süden bevor.
Christian, dem man das Pferd des toten Ossen-Schröders überlassen hatte, drehte sich noch ein Mal um, als die Häuser der Stadt hinter ihnen verschwanden.
»Ich werde zurückkehren«, schwor er sich und biss sich auf die Hand, um nicht in Tränen auszubrechen. »Ich werde zurückkehren.« Und wie um seinen Schwur zu bekräftigen, ließ er eine Handvoll Hafer in den Straßenstaub rieseln.
FÜNFZEHN
Die Wochen vergingen in ungewissem Zweifel, Tag und Nacht wechselten in ihrem unerbittlichen Rhythmus. Der Sommer schritt voran, auf dem Holm blühten die Stockrosen vor den Hütten der Fischer, doch Sophie hatte keinen Blick für die üppigen Blüten, die von Hummeln umschwirrt die Fassaden mit ihrer flammend roten Pracht schmückten.
Noch immer gab es keine Nachricht von Ossen-Schröder und den Treibern. Das Schiff nach Wismar hatte schon vor Wochen abgelegt – ohne die versprochenen Ochsen. Man hatte nicht länger warten können.
Als den Fischern an drei aufeinander folgenden Tagen kein einziger Hering ins Netz ging, deuteten die Schleswiger dies als böses Omen. Jetzt konnte der Rat der Stadt sich nicht länger gegen den Ansturm der verzweifelten Angehörigen wehren, und die hohen Herren beschlossen, einen Suchtrupp auf die Heide zu schicken.
Die
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