Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
nah, dass sie seinen Atem hören konnte. Sie hätte eine Hand nach ihm ausstrecken können, um ihn zu berühren. Ein seltsames Gefühl kroch ihren Rücken hinab und verdichtete sich unterhalb ihres Bauchnabels.
Sophie hielt die Luft an, doch der Junge schien sie nicht zu bemerken. Konzentriert murmelte er einige fremde Worte, dann hob er die Hände zum Kopf.
»Allahu akbar.«
Guter Gott … Das war doch Zauberei, Hokuspokus! Erschrocken schlug Sophie die Hände vor den Mund, ihr Herz begann zu pochen. Was trieb der Junge da? Sprach er mit fremder Zunge, so wie es der Teufel tat? Unwillkürlich zuckte sie zurück. Sie kroch ein Stück nach hinten und suchte nach einem Versteck. Was sollte sie tun?
Dann erinnerte sie sich an Johannas Amulett, zitternd wühlte sie in ihrem Beutel, schließlich zog sie das dünne Plättchen hervor. Sie schlug ein Kreuz, aufgeregt stolperten die lateinischen Worte aus ihrem Mund: »Sator arepo tenet opera rotas.«
Die Wirkung des Bannspruchs war erstaunlich, die Worte beruhigten sie sofort. Sophie spürte, wie ihre Neugier über die Furcht siegte. Vorsichtig kroch sie wieder auf das Buschwerk zu. Der Fremde zog nun die Hände vor die Brust und sprach feierlich einen Vers. Sophie verstand nicht, was er sagte, doch die Worte klangen nicht mehr länger gefährlich, sondern friedvoll und sanft in ihren Ohren. Die Angst begann zu weichen.
»Subhanekel-lahumme ve bi-hamdike«, flüsterte er und Sophie wiederholte die Laute vorsichtig, um zu spüren, wie sie sich von der Zunge lösten, um auf ihren Lippen zu tanzen. »Subhanekel-lahumme ve bi-hamdike.«
Das ist der Perser, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf und sie spürte, dass ihr Herz wieder ruhig und gleichmäßig schlug. Er spricht sein Abendgebet.
»E’uzu billahi’mi-nesch-schäyta’nir-raciym …«
Der Strom fremder Worte schien kein Ende zu nehmen, er erinnerte Sophie vage an gemurmeltes Latein. Dann, nach einem zweiten »Allahu akbar«, verbeugte sich der Junge und wiederholte einige Worte. Schließlich sank er zu Boden, wobei zuerst die Knie das Laub berührten, dann die Handflächen und zwischen ihnen der Kopf. Stirn und Nase streiften den Boden. Sophie unterdrückte ein Lächeln, doch sie bewunderte seine Hingabe und seinen Ernst. Das Kribbeln im Bauch wurde stärker.
»Subhane rabbiyel ala.«
Was sagt er nur, rätselte Sophie. Spricht er von seinem Tag und bittet er diesen fremden Gott um Vergebung seiner Sünden? Beichtet er oder lobpreist er seinen Herrn?
»Allahu akbar.« Der Junge richtete sich wieder auf, im Stehen und mit verschlossenen Armen folgte der nächste Vers, dann verbeugte er sich wieder und sank erneut auf die Knie.
Unwillkürlich schüttelte Sophie den Kopf, sie konnte die Laute nicht entziffern.
»Allahu akbar.«
Noch mehr Fragen wirbelten durch ihren Kopf. Durfte der Junge überhaupt zu seinem Gott beten? Und war das fremde Gebet nicht doch etwas Sündiges – jedenfalls für ihre protestantischen Ohren? Wie konnte es überhaupt einen anderen Gott geben, als diesen einen Allmächtigen, von dem der Propst im Schleswiger Dom zu predigen pflegte?
Verwirrt und um nicht doch in die Fänge dieses fremden Gottes zu geraten, faltete Sophie die Hände und begann das Gebet zu murmeln, das Jesus seine Jünger einst gelehrt hatte: »Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme, dein Wille geschehe …« Sie wiegte sich im Klang der vertrauten Worte.
»Was machst du da?«
Warme, haselnussbraune Augen mit einem dunklen Kranz. Erschrocken sah sie auf. Er hatte sie bemerkt. Von der anderen Seite der Hecke funkelten seine Augen durch den Blättervorhang. Erstaunt bemerkte Sophie, dass sie den Fremden verstehen konnte. Er beherrschte ihre Sprache.
»Und was machst du da?«
»Ich bete. Der Herzog hat es mir erlaubt.«
Seine Stimme klang ruhig und warm, wie ein fein gestimmtes Instrument. Jedes Wort besaß eine ganz eigene Melodie. Sophie dachte, dass sie noch so vieles lernen könnte. In diesem Augenblick begriff sie, dass es eine Welt jenseits der Grenzen des Herzogtums gab. Das Leben erschien ihr plötzlich wie ein ungeheuerliches Rätsel.
»Wie heißt dein Gott?«
Er zögerte einen Moment, als ob er den Namen des Höchsten nicht in den Mund nehmen dürfte. »Allah …«, sagte er schließlich.
»Allahu akbar.« Sie hatte sich seine Worte gemerkt.
Erstaunt bog er die Zweige zur Seite. Zum ersten Mal sah sie sein Gesicht ganz deutlich vor sich, die dunklen, fast
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