Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Gedanken des anderen lesen zu können. Erschrocken zuckte der Gutsherr zurück. Es war, als ob ein heißer Strom seine Hand versengte, und Christian dachte, dass der Ritter nicht unverwundbar war.
Er war nun Oss. Nur noch Oss. Eines Tages wäre er stark genug, den Tod seines Vaters und der Treiber zu vergelten. Doch die Zeit war noch nicht gekommen, um sich an Christian Rantzau und seiner Bande zu rächen.
ZWEI
Hinter den Hecken, weit oberhalb des Wasserbeckens, gefiel es ihr am besten. Hier war das Gelände noch wild und der Natur überlassen, es glich den Wäldern rund um Schleswig, durch die sie mit Johanna gestreift war. Rehwild zog durch das dichte Unterholz und bisweilen jagte Herzog Friedrich in den waldigen Partien. Vom höchsten Punkt des Hügels aus fiel ihr Blick durch das dichte Grün auf den Herkulesbrunnen und das glitzernde Band der Schlei. In der Ferne erhoben sich die Mauern von Schloss Gottorf, ein Anblick wie aus einer anderen Welt.
Sophie setzte sich in das trockene Laub und pflückte einige Buschwindröschen, deren zarte, weiße Blüten wie Glocken geformt waren. Ihr Tagwerk war beendet, erschöpft streckte sie die Beine von sich und genoss das Alleinsein und den Abendgesang der Vögel. Während der Arbeit, wenn sie Stunde um Stunde in der Kolonne der Gärtnerjungen die schwere, dunkle Erde abtrug und auf hölzernen Schlitten den Hang hinunter transportierte, dachte sie manchmal, dass sie es nicht schaffen würde. Dass die Arbeit zu schwer für sie war und dass sie unter dem Gewicht der Erde zusammenbräche. Irgendwie schleppte sie sich durch den Tag und der Rhythmus der vielen rastlos grabenden Hände trug sie über den gähnenden Abgrund der Erschöpfung hinweg. Doch wenn die Glocke der Hofkapelle die Arbeit beendete, sackte sie vor Müdigkeit fast in die Knie. Und die Aussicht auf ein Leben wie dieses ließ ihr die Tränen in die Augen schießen. War sie stark genug?
Sophie legte sich zurück in das Lager aus Laub und Moos und sah in den dunklen Himmel der Bäume hinauf. Es gab kein schöneres Bett! Mit den Augen folgte sie den Vögeln, die durch das Astwerk huschten. Sie glichen Träumen, schillernd und frei, verlockend und doch unerreichbar. Träge glitten ihre Gedanken dahin. Welchen Plan hatte Gott von ihrem Leben gezeichnet? Und konnte sie darin lesen?
Der Plan. Vor einigen Tagen hatte Sophie in der Gartenwerkstatt zufällig einen Blick auf die Entwürfe des Hofgärtners werfen können und erstaunt hatte sie bemerkt, darin wie in einem Buch lesen zu können.
Sie hatte die Anlage der Beete auf den Zeichnungen wiedererkannt, den Brunnen, die Wege und Terrassen, die sich inzwischen den Hügel hinauf zogen. Sie hatte gesehen, dass die einzelnen Terrassen irgendwann zu einer Einheit verschmelzen würden.
Von dem Punkt aus, wo sie nun saß, würde die oberste Stufe sich mit einem wunderbaren Ausblick auf den vollendeten Garten, auf das Schloss und den Fluss hin öffnen. Und plötzlich, als ob der Plan sich mit Leben erfüllte, mit raschelndem Grün und murmelnden Wasserkaskaden, hatte sie verstanden, was das ferne, große Ziel der im Kleinen so sinnlos und mühsam erscheinenden Plackerei war. Wie ein Vorhang, der zur Seite gezogen worden war, enthüllten die Pläne die künftige Pracht des wilden Hügels.
Es war wie ein Blick in die Zukunft gewesen. Sie hatte verstanden, dass Hofgärtner Friedrichs ein neues, wunderbares Kunstwerk für den Herzog schuf. Und die Gartenjungen, sie waren Handlanger dieses Wunders, sie verwandelten die Welt.
Sophie lächelte. Mit schweren Lidern verfolgte sie eine Ameise auf ihrem Fuß. Das winzige Tier war kaum spürbar und steckte doch voller Leben. Es war erstaunlich! Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Hofgärtner Friedrichs wollte bald den nächsten Abschnitt des neuen Gartens in Angriff nehmen, Stufe um Stufe würden seine Gesellen und Gartenjungen sich den Hang hinauf arbeiten, um weitere Terrassen anzulegen und diese mit Hecken aus Buche und Buchsbaum zu bepflanzen. Sie strich über ihre Hände, die rissig und von Schwielen überzogen waren. Müde seufzte sie auf. Wie lange war es her, dass sie ihrer Schwester Melissa über das Köpfchen hatte streichen können?
Noch vor Herbstbeginn hatte Sophie sich in der Gartenwerkstatt auf Schloss Gottorf vorgestellt. Wie Johanna es ihr versprochen hatte, war es nicht schwer gewesen, Arbeit zu finden. Zunächst hatte man sie im Neuwerk-Garten Steine aus dem aufgeworfenen Erdreich sammeln lassen.
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