Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Allahu akbar.
Farid stützte sich auf seinen Spaten und wischte den Schweiß von der Stirn. Es ging auf die Mittagszeit zu. In seinem Rücken, über dem Schloss, stand die Sonne wie eine Scheibe schmelzenden Honigs an einem wolkenlosen Himmel. Eigentlich hätte er längst beten müssen, doch die Arbeit am Hang ließ es nicht zu, die fünf Gebetszeiten einzuhalten. Erst am Abend würde er sich zurückziehen können, um Allah zu preisen und die Suren des Korans zu sprechen.
Das Gebet. Für einen Moment durchzuckte ihn ein vages Gefühl von Schuld. In seiner Heimat hatte es sich richtig angefühlt, sich Gott zu nähern, so wie er es von seinem Vater und den Alten gelernt hatte. »Das Gebet ist das vortrefflichste Reisegepäck in die Welt der Ewigkeit«, versprach ihm sein Glaube. »Wenn wir in der rechten Weise beten, werden wir in der Welt des Jenseits zu den Glücklichen zählen.«
Das Gespräch zu Gott war ihm köstlich, wie eine Quelle reinsten, klarsten Wassers erschienen, in die er tauchen und sich reinigen konnte. Doch in der Fremde, am Hof Herzog Friedrichs, glichen die Gebete bisweilen mehr einer Pflicht als einer Freude. Es fühlte sich falsch an, unter dem dunklen Laub der Eichen und Buchen zu Allah zu sprechen. Es war, als ob seine Worte nicht direkt zu Gott gelangten, sondern einen Umweg nehmen mussten. Und auf diesem verschlungenen Pfad, welcher der unvorstellbar weiten Reise nach Isfahan glich, verloren die heiligen Worte ihre Kraft.
Farid seufzte auf. Hatte Gott ihn noch gern?
»He, Muselmann …« Ein Stein traf seine Stirn. Erschrocken sah er auf. Von weiter oben grinste einer der Gartenjungen auf ihn herab. Es war einer der Älteren, denen Flaum auf den Wangen sprießte und die sich mit kalter Grausamkeit an ihm abarbeiteten. Am Vortag etwa hatten sie ein Seil zwischen den Hecken gezogen und als er den Pfad entlanggelaufen war, hatten sie es mit einem Ruck gespannt. Wie ein gefällter Baum war er der Länge nach hingeschlagen.
»Der Muselmann frisst Dreck«, hatten die Jungen gejohlt und der Hügel hatte vor Schadenfreude vibriert. Farid wischte sich über die Stirn, er spürte eine Schramme, seine Schläfen pulsierten. Auch in der anschließenden Prügelei hatte er den Kürzeren gezogen – vier gegen einen, es war aussichtslos gewesen. Am Abend hatte Sophian seine Wunden mit warmem Wasser gereinigt.
»Weiter graben, du Faulpelz!«
Farid schüttelte sich, der Schmerz ließ nach, doch der Ärger pumpte das Blut in wilden Schüben durch seinen Körper. Er bückte sich und griff nach einem Klumpen Erde.
»Lass sie, Farid!« Sophian fasste nach seiner Hand und sah ihn kopfschüttelnd an. »Darauf warten sie doch nur.« Er zeigte hinauf.
Farid sah, dass nun mehrere Gartenjungen von der zweiten Terrasse auf sie herab lachten und feixten. Ihre Blicke trafen ihn wie Pfeile.
»Kümmere dich nicht um die Dummköpfe.«
Sophian strich sanft über seine zur Faust geballte Hand, bis er den Klumpen Erde fallen ließ. Die Berührung war beruhigend, so wie ein Trank aus Mohnsamen. Plötzlich fühlte er sich heiter und leicht. Grinsend klopfte er Sophian auf die Schulter. »Danke, mein Freund.«
»Sie sind es nicht wert.«
Sophian begann wieder zu graben. »Sie wissen nichts von dir. Sie wissen nicht einmal, dass du Falken zähmen und auch schreiben kannst. Du sprichst sogar mehrere Sprachen. Das sind doch nur dumme Kerle. Lass sie …«
Farid nickte, verstohlen schaute er noch einmal nach oben. Vor einigen Wochen hatte der Herzog ihn dem Gartenmeister anvertraut, damit er dessen Handwerk erlernen könne. Denn im Schloss hatte er sich zuvor wie ein Tölpel benommen. Kostbares Tafelgeschirr war zu Bruch gegangen und auch in der Bibliothek hatte er wertvolle Bücher fallen lassen – obwohl er doch eigentlich alles Geschriebene liebte. Aber die deutsche Schrift war ihm bislang fremd geblieben. Es war einfacher gewesen, die Sprache seines neuen Herrn durch Zuhören und Nachsprechen zu lernen.
Er sei ein Tollpatsch, lamentierten die herzoglichen Schreiber. Doch selbst als Schelm oder als Spielgefährte der Fürstenkinder taugte er nicht, er war ihnen nicht geheuer. Die Kinder hatten ihn lediglich misstrauisch beäugt und die jüngeren hatten sogar geweint.
Der Garten jedoch empfing ihn mit offenen Armen. Farid war stark und sein Körper schien wie geschaffen für die schwere Arbeit. Inzwischen wölbten die Muskeln sich sanft unter seiner Haut. Wenn nur die anderen nicht wären, dachte er. Sie triezten
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