Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Gesicht und Hände zu reinigen, zuletzt band sie ein frisches Tuch vor Mund und Nase.
Kein Mensch wusste, was gegen die schändliche Seuche half, doch Johanna war überzeugt, dass Reinlichkeit vor dem Pesthauch schützte. Außerdem hatte sie Stiche von italienischen Pestärzten gesehen. Diese näherten sich ihren Patienten mit schnabelartigen Masken und weiten Umhängen.
»Du musst dich unbedingt von den anderen Menschen fernhalten«, sagte sie, als sie wieder auf die Marktfrau zutrat. Dann warf sie ihr einen ihrer gefalteten Zettel in den Schoß, auf den sie ein Gebet notiert hatte. »Schließ dich ein und bete! Mehr kann ich nicht für dich tun.«
»Aber mein Mann, meine Kinder …« Plötzlich schien die Frau sich aus der Erstarrung zu lösen. Ihre Stimme war schrill, sie mühte sich, auf die Beine zu kommen.
»Du musst dich von ihnen fernhalten!« Johanna wich einen Schritt zurück, sie war froh, dass Melissa hinten im Garten bei den Hühnern spielte.
»Und ein Zauber, irgendetwas, das gegen die bösen Pestgeister hilft?«
Johanna schüttelte den Kopf, sie ahnte, worauf die Kranke anspielte. Immer wieder gab es Gerüchte, man könne den Schwarzen Tod mit einem Schutzzauber von einem Ort fernhalten. So hatten Bauern aus einem holsteinischen Dorf die Seuche angeblich mit Kesselhaken vertrieben. Die Kesselhaken, die lange Zeit im reinigenden Feuer gehangen hatten, waren von Erstgeborenen um die Häuser getragen worden. Die Kirche war ob der heidnischen Bräuche zwar empört gewesen, doch die Pest hatte den Ort damals tatsächlich verschont.
»Geld. Ich habe Geld …« Die Marktfrau griff in ihre Schürze und kramte einige Münzen aus ihrer Börse hervor. »Und zu Hause ist noch mehr.«
»Niemand weiß, wie man die Krankheit heilen kann.« Johanna trat noch einen Schritt zurück und öffnete die Tür. »Der Schwarze Tod macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich. Er überfällt jedermann.«
Ein Lichtstrahl fiel durch die geöffnete Tür und blendete die Kranke. Die Frau schrie auf, die Helligkeit schmerzte sie bereits. Die Münzen fielen ihr aus den Händen und rollten über den Boden.
»Bitte geh!« Johanna versuchte, die Verzweifelte aus der Hütte zu drängen. »Geh auf dem schnellsten Weg nach Hause und sprich unterwegs mit niemandem! Gott wird dich erhören. Es gibt Fälle, in denen er die Kranken geheilt hat. Du musst fest in deinem Glauben sein!«
»Mein Geld«, schrie die Frau, doch Johanna hatte die Tür bereits zugezogen und den Riegel vorgeschoben. Zitternd lehnte sie ihre Stirn gegen das Holz. In Gedanken sah sie, wie der Tod die Marktfrau in seiner unbarmherzigen Umarmung hielt. Sie würde qualvoll sterben, schreiend und winselnd vor Schmerzen. Zunächst stieg das Fieber, dann verfärbte sich ihre Haut düsterblau. Blutig-eitrige Beulen bildeten sich an ihrem Körper und ein unstillbares Durstgefühl ließe sie schier wahnsinnig werden. Wenn Gott gnädig war, trat der Tod nach wenigen Tagen ein.
»Mein Geld …« Die Frau zeterte noch immer vor der Tür. Plötzlich fiel Johanna das Kind ein. Wie hatte sie Melissa vergessen können? Hoffentlich kam die Kleine nicht nach vorne gerannt, um nach der Ursache für den Lärm zu schauen.
»Nun gib doch endlich Ruhe, Frau, du vergeudest deine Kräfte!« Vorsichtig schob sie den Riegel wieder zurück und öffnete die Tür erneut einen Spalt breit. »Ich bringe dir die Münzen nach.«
Die Frau funkelte sie an, doch dann schien etwas in ihr zu brechen. Ihr Kinn fiel auf die Brust, ihre Schultern sackten nach vorn. Mühsam holte sie Atem, doch sie schrie nicht mehr.
»Du wirst mich nicht vergessen«, war alles, was sie noch sagte. Dann drehte sie sich um und schleppte sich die Gasse hinauf in Richtung Brücke. Johanna hoffte, dass sie nicht den Weg über den Marktplatz wählte. Zu dieser Stunde drängten die Menschen sich dort um die Stände mit den frischen Waren.
Aber war nicht bereits alles zu spät? Hatte die Schwarze Pest nicht längst ihr Gift in jedem Winkel verspritzt? Johanna schlug die Hände vors Gesicht. Wahrscheinlich hatte die Marktfrau noch am Morgen Eier und Milch verkauft und mit ihren Kunden geschwatzt. Die Seuche war tückisch, sie überfiel ihre Opfer aus heiterem Himmel. Erst als die Schwäche und ein erster Fieberschub durch ihren Körper gekrochen waren, hatte sie ihren Stand in der Obhut ihrer Töchter zurückgelassen, um sich von der Kräuterfrau einen Tee gegen das Fieber zu holen. Vom Markt hinunter zum Holm war es
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