Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
nicht weit gewesen, doch bald hatte sie jeder Schritt mehr und mehr Kraft gekostet. Schweißgebadet hatte sie schließlich an die Tür in der Fischergasse geklopft.
Johanna seufzte, dann ging sie in die Knie. Mit einem Tuch sammelte sie die Münzen ein, dann warf sie Tuch und Geld ins Feuer. Sie wusch sich noch einmal gründlich, dann räucherte sie die Hütte mit Wacholder aus. Schließlich holte sie Melissa und die Tiere ins Haus. Sie säuberte auch das Kind, dann schärfte sie ihm ein, die Hütte nicht zu verlassen.
Zuletzt machte sie sich auf den Weg zum Rathaus. »Wir haben die schändliche Seuche in der Stadt«, würde sie die Ratsherren alarmieren. Der Hohe Rat musste die Menschen warnen, den Markt schließen, die Stadtgrenzen überwachen und Verordnungen zum Schutz der Leute erlassen. Vielleicht, so hoffte sie, begnügte sich der Schwarze Tod dieses Mal mit einigen wenigen Opfern.
Die Glocken läuteten ununterbrochen. In den Gärten von Schloss Gottorf ließen die Gartenjungen und Gesellen die Geräte fallen.
»Krieg? Ist das Krieg?« Wie ein eisiger Wind fuhr die Angst durch die Hecken. Aus allen Richtungen liefen die Burschen zusammen und sammelten sich am Herkulesbrunnen. Wer konnte ihnen sagen, was das wilde Glockenschlagen bedeutete? Waren die Schweden im Anmarsch?
Doch als das Gerücht die Runde machte, in Schleswig sei die Pest ausgebrochen, rückte der Pulk unwillkürlich auseinander. Dieses Mal stiftete das gemeinsame Gefühl der Angst keine Kameradschaft. Viele von ihnen hatten Familie in Schleswig, misstrauisch beäugten die Jungen einander. Da, sah dieser heute nicht schlecht aus? Warum schwitzte er so heftig? Und jener – mit den dunklen Schatten unter den Augen. War das bereits ein Zeichen der schändlichen Seuche?
Fort, nur fort, das war der erste Impuls. Absonderung, nicht Gemeinschaft, flüsterte ihnen ihr Lebenswille zu. Und bald zerstreuten sich die Jungen in alle Himmelsrichtungen.
Nachdem die Pestmeldung die Brücke nach Schloss Gottorf passiert hatte, waren auch Herzog und Kanzler zusammengekommen, um sich zu beraten. Den Leibarzt der herzoglichen Familie und den Hofmathematicus hatte man ebenfalls hinzugebeten, um über Schutzmaßnahmen zu entscheiden.
Doch zunächst hatte man den Boten aus Schleswig als Überbringer der schlechten Nachricht samt Pferd in ein Kellerverließ sperren lassen. Dann waren die Wachen verstärkt worden: Niemand durfte die Schlossinsel betreten und niemand konnte mehr hinunter in die Stadt, die ihre Tore ebenfalls geschlossen hatte. Auf Anregung von Adam Olearius, der in einigen Reiseberichten gelesen hatte, dass die Pest wie ein Floh von Mensch zu Mensch sprang, ließ man ein Stallgebäude räumen und als Krankenstation einrichten. Jeder Mann und jede Frau, die als verdächtig gemeldet wurden, sollten dort von den Gesunden isoliert werden. Zudem empfahl der herzogliche Leibarzt, Rotwein unter den Leuten zu verteilen, um die Moral hochzuhalten und die Kräfte zu stärken. Bald brannten unzählige Pestfeuer auf der Schlossinsel, um die Luft von den schädlichen Dämpfen zu reinigen.
Olearius selbst kehrte wenig zuversichtlich in sein Haus zurück. Er kannte keinen Fall, in dem die Pest glimpflich verlaufen wäre. Alle Berichte, die von Ausbrüchen in der Vergangenheit handelten, ließen das Schlimmste für die Stadt befürchten. Wenigstens ein Drittel der Bevölkerung würde der Seuche zum Opfer fallen, ja, es gab sogar Berechnungen, wonach jede Familie mindestens einen Toten zu beklagen haben würde. Dabei schien das Pestmiasma nichts anderes als eine Schar kleiner Würmlein zu sein, welche sich durch die Luft fortbewegten, so meinten die Experten. Wenn sie durch den Atem in den Leib eingesogen wurden, verdarben sie das Blut und zersetzten die Drüsen. Wenn sie nun wiederum aus einem so angesteckten Leib herausflogen und von einem Gesunden aufgenommen wurden, pflanzte die Pest sich unaufhaltsam fort.
Wirksame Therapien jedenfalls gab es nicht. Pestärzte empfahlen, die Patienten mit Essig zu besprühen. Die Pestgeschwüre ließ man durch Salben reifen und schnitt sie dann auf, um Eiter und Blut und andere Sekrete abfließen zu lassen. An manchen Orten sorgte die Obrigkeit dafür, dass nach dem Tod alle Kleider und das Haus einer verstorbenen Familie verbrannt wurden. Auch die Quarantäne kam zum Einsatz, zumeist isolierte man Menschen aus pestbetroffenen Ortschaften um die vierzig Tage.
Was also sollten sie tun? Der Mathematicus befahl seiner Frau,
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