Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
und keinen Rat für ihn?
»Allahu akbar …« Er fand keine Worte für das Unaussprechliche und er konnte mit niemandem darüber reden. Farid fuhr mit den Händen über seine Stirn, doch die Worte, die dort vor seinem inneren Auge aufblitzten, ließen sich nicht auswischen.
»Laster«, sah er dort grell leuchten, »Sünde«, »Unzucht« und »Gestrauchelter«. Dann wieder dachte er, dass die Liebe zwischen Freunden doch auch eine Hinwendung zu Gott war. Konnte der Höchste etwas dagegen haben, wenn zwei Menschen sich liebten? Wenn sie vertrauensvoll, zärtlich und hilfsbereit miteinander waren, so wie er es sich in seinen Träumen ausmalte?
Im nächsten Moment, wie eine Mahnung, fielen ihm die Koranverse ein, die von Lots Sünden sprachen. Die siebte Sure etwa, wo Gott zu seinen Leuten sprach: »Wollt ihr denn etwas Abscheuliches begehen wie es noch keiner von den Menschen in aller Welt vor euch begangen hat? Ihr gebt euch in eurer Sinnenlust wahrhaftig mit Männern ab statt mit Frauen. Nein, ihr seid ein Volk, das nicht maßhält.«
Und in einer weiteren Sure fragte Gott: »Wollt ihr euch denn mit Menschen männlichen Geschlechts abgeben und darüber vernachlässigen, was euer Herr euch in euren Gattinnen geschaffen hat? Nein, ihr seid verbrecherische Leute.«
War es verbrecherisch, was er sich erträumte? Farid fuhr sich durch die Haare, das Gebet war vergessen, untergegangen im Strudel seiner Gefühle. Was sollte er tun?
»Flieder … Was ist mit dir?«
Sophian schien seine Verzweiflung zu bemerken. Er hatte die Augen geöffnet und sah ihn nachdenklich an. Die tiefstehende Sonne zeichnete seine Konturen nach, sein Körper schien wie von innen heraus zu leuchten. Geblendet senkte Farid den Blick.
»Denkst du an deinen Vater? An Isfahan?«
Sophian war aufgestanden und kam nun näher. Trockenes Laub raschelte unter seinen Füßen, Farid spürte einen Schatten auf seiner Brust. Es war, als ob ihre Körper miteinander verschmolzen. Er wagte nicht zu atmen.
»Sprich mit mir, Flieder.«
Doch er streckte die Hände aus, berührte den Freund, umfasste seine Schultern. Zog ihn noch näher zu sich heran, strich über sein Haar.
Der Moment schien sich in alle Ewigkeit zu dehnen. Noch immer hielt er den Atem an.
Dann bemerkte er, wie Sophian sich aus seiner Umarmung wand. Seine Hände rutschten ab, verloren den Halt. Eine schreckliche Leere breitete sich in ihm aus.
»Warum tust du das?«
Farid öffnete die Augen. Sophian hielt die Arme vor dem Körper verschränkt, seine Augen funkelten zornig.
»Du bist mein Freund.«
»Freunde umarmen sich nicht. Nicht so! Das ist …« Sophian machte eine abfällige Handbewegung.
»Du bist mein Bruder.«
Farid suchte in Sophians Gesicht nach einem Widerhall seiner Gefühle. Er sah den Ernst in seinem Blick, den plötzlich schmalen Mund, die roten Flecken auf den Wangen. Die in diesem Moment empört zur Faust geballten Hände. Seine Sehnsucht traf auf ein Bollwerk aus Unverständnis und Ablehnung. Und doch … Konnte er sich so irren?
»Ich hatte einen Bruder, Flieder. Christian ist tot. Und du bist nicht Christian …«
Er schwieg, versuchte die Worte zu begreifen. Ihren Sinn …
»Ich bin dein Freund, aber du musst meine Gefühle achten.«
Farid nickte, er konnte nicht sprechen. Etwas Zähes saß in seinem Hals, Tränen brannten in seinen Augen. Sophian sollte ihn nicht weinen sehen. Schnell wandte er sich ab und begann, den Hügel hinabzulaufen. Schneller und immer schneller stolperte er durch Laub und Gras, bis er die Rufe des Freundes nicht mehr hören konnte.
VIER
Die Angst wand sich wie eine Natter um ihr Herz. Johanna bemerkte, dass ihre Hand zitterte. Die Beule unter der Achsel war hart und heiß. Vorsichtig schlug sie der Frau das Tuch wieder um die Schulter. Dann trat sie einen Schritt zurück. In ihren Träumen hatte sie sich immer vor diesem Tag gefürchtet.
Die Marktfrau sah sie stumm an. Sie schwitzte und fror gleichzeitig, das Fieber hatte begonnen, in ihrem Körper zu wüten. Ihre Augen flackerten, Panik lag in ihrem Blick.
Sie weiß es, dachte Johanna. Sie weiß, dass sie sterben wird. Und dann, ein Gedanke, den sie noch nie gedacht hatte: Gott steh uns bei!
In ihrem Rücken kochte Wasser in einem Kessel über dem Feuer. Johanna trat an den Herd, der feine Nebel aus Rauch und Wasserdampf umfing sie wie eine schützende Hülle. Sie goss kochendes Wasser in eine Schüssel, streute Kräuter hinein und tunkte ein Tuch in den Sud. Sorgsam begann sie,
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