Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
nicht mehr am Schloss gesehen.
Das war vor acht Tagen gewesen, dachte Oss, während sein Blick sich in die Dunkelheit bohrte. Vereinzelt sickerte das Mondlicht durch die dichten Baumkronen, sie waren im Herzen der Finsternis. Nun lag er hier, in Rantzaus Wald, und hielt den Atem an. Sechs Burschen waren mit ihm gekommen, ein Großteil des Silberschatzes und sein Versprechen, Ritter Rantzau das Handwerk zu legen und ihn dem Jüngsten Gericht zu überantworten, hatte sie zu Komplizen werden lassen. Jeder von ihnen hatte seinen ganz persönlichen Grund, den Ritter leidenschaftlich zu hassen. Sie hatten Frau, Kind, die Gesundheit oder ihren Stolz an Rantzaus Willkür verloren.
Und so war es nicht allzu schwer gewesen, Helfer zu finden. Oss kannte die Geschichten der Männer, am nächtlichen Feuer hatte er sie hundertfach gehört. Er hatte sorgfältig abgewogen, wem er trauen konnte. Dann hatte er den Männern seinen Plan erläutert. Die Meisten waren sofort bereit gewesen, sich ihm anzuschließen. Fast schien es so, als ob sie nur darauf gewartet hätten, dass jemand das Tor zur Freiheit aufstieß. Nun drängten sie sich begeistert hindurch. Sie wollten nicht länger stillhalten und duldsam sein. Sie wollten endlich kämpfen – für ihre Ehre und gegen die elende Tyrannei des Christian Rantzau. Der zunehmende Mond war ihnen Zeichen und Ansporn zugleich, sie hatten auf die Vollmondnacht hingefiebert. Würde ihr Beispiel Schule machen und die unfreien Bauern in den Herzogtümern gegen die unerbittliche Herrschaft der Ritter aufbegehren lassen? Käme es zu einem Umsturz der Verhältnisse?
Aber Oss ging es nicht um die allgemeinen Umstände. Er wollte lediglich Rache üben. Endlich Rache an Christian Rantzau nehmen. Und er wollte, dass das Morden entlang des Ochsenwegs aufhörte. Doch er hatte sich die Euphorie der Männer zunutze gemacht, ihren Glauben an seine Stärke, an die Veränderung, den Wandel. Nun hoffte er, dass er die Burschen nicht in den sicheren Tod führte.
Was also würde in dieser Nacht geschehen? Gemeinsam mit seinen Männern hatte Oss sich schon am frühen Abend auf den Weg in die Wälder gemacht. Sie hatten sich Pferde aus den Rantzauschen Ställen genommen, ein Diebstahl, auf den die Todesstrafe stand. Doch sie würden nicht auf die Breitenburg zurückkehren, sie hatten abgeschlossen mit ihrem Leben unter dem Joch des Ritters. Und sie ließen keine Angehörigen zurück. Sie waren frei – frei zu leben, frei zu sterben.
An einem günstigen Platz etwas abseits des Ochsenweges hatten sie ihr Lager aufgeschlagen. Ein Feuer täuschte Sorglosigkeit vor und sandte sein unmissverständliches Signal in die Nacht: Hier sind wir, hier sind wir …
Während die Männer so taten, als ob sie schliefen, tasteten sich ihre Blicke durch die Dunkelheit. Sie waren bereit, sofort aufzuspringen und zu kämpfen. Jeder von ihnen verfügte über ein Messer und Todesmut, im Laub hatten sie Lanzen und Mistgabeln versteckt. Netze, die sie um das Lager herum ausgelegt hatten, könnten die Pferde der Angreifer straucheln lassen. Würde Christian Rantzau ihr Lager finden?
Oss war sicher gewesen, dass der Ritter sich auch in dieser Nacht mit seiner Bande in die Wälder schlagen würde. Doch er konnte sich nicht erklären, warum Rantzau plötzlich Söldner für sein mörderisches Treiben angeheuert hatte. Was hatte ihn dazu bewogen? Vertraute er seinen Männern nicht länger? Oder wollte er sich seine Hände nicht mehr schmutzig machen, jetzt nachdem er zum Sonderermittler des Herzogs ernannt worden war?
Je länger Oss darüber nachdachte, desto stärker beschlich ihn das Gefühl, dass diese Nacht einen Wendepunkt markierte. Und dass er Rantzau heute stellen musste. Es gäbe keine zweite Chance für ihn.
Oss schluckte, sein Hals war ausgetrocknet und plötzlich sehnte er sich nach einem kräftigen Schluck Rum. Nach etwas Wärme und Halt. Für einen Moment schloss er die Augen und gab sich seinen Sehnsüchten hin. Am Morgen hatte er sich von Lisbeth verabschiedet, so als gäbe es kein Wiedersehen. Er hatte ihr nicht sagen können, was er plante. Doch er hatte sie geküsst. Ihr Mund hatte nach Sirup und süßen Früchten geschmeckt und sie hatte seine Lippen zärtlich empfangen. Es war schwer gewesen, dem Drängen ihres Körpers zu widerstehen, ihrem lockenden Atem. Er hatte sich kaum losreißen können.
Lisbeth, Lisbeth – er wusste, dass er sie vergessen musste. Und während er sich noch ein letztes Mal an ihren
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