Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
Ausgeglichenheit finden konnte.
Dann traten auf einmal fünf der Geheiligten Gehörnten
aus dem Dickicht. Der mit dem Silberpelz, der sie bei
ihren früheren Besuchen begrüßt hatte, legte ihr jetzt
sanft seine Hände auf die Schultern. Sein Hirschhaupt
näherte sich ihrem Gesicht, und seine feuchte Nase strich
über ihre Wange.
»Faraday, Baumfreundin. Wir haben uns solche Sorgen um Euch gemacht, mußten wir doch all Euren Kummer mit ansehen. Wir möchten ihn gerne mit Euch
teilen.«
Übergroße Dankbarkeit erfüllte die Edle, und sie fühlte sich unendlich geborgen, weil nicht nur Yr, sondern
auch diese Wesen über sie wachten. »Danke«, sagte sie
nur ergriffen und trat vor, um die anderen vier zu begrüßen.
Danach kehrte sie zu dem Silberpelz zurück. »Habt Ihr
in Euren Visionen vielleicht auch Axis gesehen, Geheiligter?«
Der Hirschmann legte den Kopf in den Nacken und
schüttelte leicht das Geweih. Seine ganze Haltung hatte
jetzt etwas Abweisendes angenommen. Faraday befürchtete schon, ihn mit ihrer Frage beleidigt oder aufgebracht
zu haben. Die anderen vier Gehörnten murmelten kurz
aufgeregt und schwiegen dann wieder.
»Ich habe ihn nur gesehen, während er sich in Awarinheim aufhielt«, antwortete der Silberpelz dann, »denn
ich habe nie bewußt nach ihm Ausschau gehalten.«
»Und, geht es ihm gut?« wollte Faraday wissen.
»Ja, es geht ihm gut«, bestätigte ihr der Geheiligte.
»Er hat mit den Awaren und Ikariern zusammen am Erdbaum Beltide gefeiert …« Der Hirschmann zögerte einen
Moment. »Mittlerweile beherrscht er auch seine Kräfte
und Fähigkeiten und hat sich zu einem ikarischen Zauberer entwickelt. Er forderte die Awaren auf, sich ihm anzuschließen. Die Ikarier haben das bereits getan. Aber die
Waldläufer weigerten sich.«
»Was?« rief Faraday erschrocken.
»Die Awaren warten auf Euch. Ohne die Baumfreundin wollen sie nichts unternehmen. Deswegen seid Ihr
die einzige, die die Waldläufer an die Seite von Axis
Sonnenflieger führen kann – wenn dies Euer Wunsch
sein sollte.«
Wie kann er nur so etwas sagen? dachte Faraday Natürlich wollte sie dem Krieger die Awaren zuführen. »Denkt
er denn manchmal an mich?« fragte sie unsicher. Sie haßte
sich zwar dafür, wollte es aber unbedingt wissen.
»Er denkt jeden Tag an Euch und spricht auch zu seinen Freunden von Euch.«
Und betrügt Euch mit seinem Körper, vielleicht auch
mit seinem Herzen, fügte der Silberpelz in Gedanken
hinzu. Soll ich Euch auch mitteilen, daß eine andere seinen Erben in ihrem Leib trägt, was doch eigentlich Euch
zustünde, Faraday Baumfreundin? Nein, wie könnte ich
das?
»Vielen Dank, Geheiligter, nur …« Die junge Frau
zögerte, und der Hirschmann legte ihr wieder eine Hand
auf die Schulter.
»Sprecht nur ohne Scheu, wenn Ihr etwas von mir erfahren möchtet, Baumfreundin. Wenn es in meiner
Macht steht, werde ich Euch helfen.«
»Geheiligter, Ihr lebt in einer magischen und verzauberten Welt. Erstreckt sich diese über den Hain hinaus?«
Einer der jüngeren Gehörnten trat vor. »Sie erstreckt
sich so weit wie die Eure, und enthält genauso viele,
wenn nicht noch mehr Wunder.« Seine Stimme klang tief
und musikalisch, und in ihr hallten Macht und Geheimnisse wider.
Die Edle sah ihn erstaunt an.
Der Silberpelz trat zur Seite und nun lag der Weg wieder frei vor ihr. »Das alles steht Euch offen, Baumfreundin. Wandert so weit und wohin Ihr wollt. Wenn Ihr
hierher in Euer neues Zuhause zurückkehren möchtet,
braucht Ihr nur an diese Lichtung zu denken und findet
Euch schon auf ihr wieder. Und vom Heiligen Hain kennt
Ihr gewiß den Weg zurück in Eure eigene Welt.«
Damit verschwanden er und die vier anderen Gehörnten.
Lange stand Faraday auf der Lichtung und sah sich
um. Die Sterne zogen ihre Bahn und erinnerten sie an
Axis. Er hatte sein Erbe angetreten, aber ob er bei all
seiner Arbeit auch noch die Zeit fand, an sie zu denken?
Sie breitete ihre Arme aus und tanzte auf dem Gras, als
sei er bei ihr. Schon bald, so hoffte die Edle, würde er
nicht nur im Traum, sondern auch in Wirklichkeit das
Lager mit ihr teilen.
Nach einer Weile spazierte Faraday inmitten der Bäume und blieb stehen, um sich verwundert umzusehen.
Von der Lichtung aus hatte der Wald undurchdringlich
gewirkt. Doch nun entdeckte sie, daß die Stämme weit
auseinanderstanden. Sie ragten so hoch hinauf, daß man
unwillkürlich an Säulen denken mußte, die eine Kuppel
halten. Und wenn die Edle den
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