Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
vor, das heute anders zu halten oder mich auf seine
Seite zu stellen. Nach allem, was ich mit seinem Vater
erlebt habe, erscheint es mir nicht undenkbar, daß Bornheld den König ermordete, um selbst auf den Thron zu
kommen. Damit hat er nicht nur Euren Gemahl, sondern
auch meinen Bruder gemeuchelt, und das kann ich ihm
niemals vergeben. Habt keine Furcht, in meiner Gegenwart einen Verdacht gegen Bornheld auszusprechen.«
Die beiden alten Freundinnen ließen indes bald dieses
Thema ruhen und unterhielten sich lieber darüber, was
aus gemeinsamen Bekannten aus früheren Zeiten geworden war. Embeth wollte die beiden nicht stören und ließ
den Blick über die Versammelten schweifen. Was für
eine eigenartige Völkermischung. Vor Wochen noch
wäre eine solche Zusammenkunft undenkbar gewesen.
Die Ikarier standen eindeutig im Mittelpunkt. Ihre außerordentliche Schönheit, ihre guten Manieren und ihre
Flügel fielen der Herrin von Tare immer wieder auf.
Ganz besonders natürlich die männlichen Vogelmenschen. Wenn zum Beispiel Sternenströmer bemerkte, daß
sie ihn ansah, erwiderte er darauf mit einem solch fordernden Blick, daß Embeth die Knie weich wurden. An
ihm ließ sich leicht feststellen, von wem Axis seine fast
magische Anziehungskraft geerbt hatte. Hastig schaute
sie in eine andere Richtung. Aber ihre Augen wanderten
immer wieder wie von selbst zu der Stelle, an der der
Zauberer stand. Sternenströmer sah sie wieder voll Begehren an.
Die Herrin von Tare schloß die Augen und ballte die
Fäuste, um den Bann zu brechen, den er über sie verhängt hatte. Bei Artor, flüsterte sie unhörbar, die Ikarier
werden eine verheerende Wirkung auf die ohnehin lockeren Sitten bei Hof haben. Als Embeth die Augen wieder
öffnete, stellte sie erleichtert fest, daß Axis’ Vater woanders hin schaute. Endlich konnte sie wieder etwas leichter atmen.
Als nächsten bemerkte sie Belial, der gerade einer Nor
von siebzehn oder achtzehn Jahren zulächelte, die sich
lebhaft mit ihm unterhielt. Die junge Schöne trug ein
hellrotes Kleid aus feiner Wolle, das ihre helle Haut und
ihre dunklen Augen betonte und einen angenehmen Kontrast zu ihrem pechschwarzen Haar bildete. Als Magariz
zu dem Leutnant trat, ihn am Arm packte und auf eine
Gruppe von Soldaten und ikarischen Offizieren zeigte,
schüttelte er den Kopf, befreite sich aus seinem Griff und
rückte noch näher an das Mädchen heran. Embeth hob
ihre Augenbrauen. Was denn, dieser Leutnant zog die
Gesellschaft einer jungen Schönen der seiner Kameraden
vor?
Das leise Klingeln von Glöckchen lenkte ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Einige Rabenbunder, manche in Begleitung ihrer Frau, hatten sich ebenfalls hier eingefunden. Die Herrin von Tare betrachtete
sie fasziniert. Jeder trug zwar ein anderes Muster von
blauen Linien auf seinem Gesicht, doch gemein war ihnen eine tätowierte Sonne auf der Stirn. Wie mußten
diese Barbaren Axis doch ergeben sein, wenn sie sogar
ihre Haut mit seinem Zeichen verzierten. Ihr schwarzes
Haar glänzte im Lampenlicht grünlich oder bläulich. Das
rührte von den Glasscherben her, die sie sich in ihre Zöpfe flochten. Und wenn sie sich bewegten, ertönten die
vielen kleinen Glöckchen in ihrem Haar und an ihrer
Kleidung.
Hinter den Rabenbundern entdeckte sie drei Männer,
bei denen es sich, wie jemand ihr anvertraut hatte, um die
Wächter der Prophezeiung handelte. Embeth betrachtete
sie eingehend, wie sie sich angeregt und wie alte Freunde
mit Baron Isgriff unterhielten.
Dann fiel ihr Blick auf den Krieger, und sie beobachtete ihn eine Weile, wie er sich durch die Menge bewegte. Die Nor hielt sich wieder an seiner Seite auf und
unterhielt sich wie selbstverständlich mit allen, die er
ansprach oder die auf ihn zukamen. Die junge Frau trug
ein schwarzes Kleid, dessen Eleganz gerade in seiner
Einfachheit lag. Sein tiefer Ausschnitt betonte ihre Figur
überaus vorteilhaft. Sie trug ihr langes Haar offen auf den
Rücken herabhängend. Eine wahre Nor, stellte Embeth
fest, nicht ohne sich einzugestehen, daß sie schrecklich
eifersüchtig auf sie war.
Dabei entging ihr, daß Belial auf sie aufmerksam geworden war. Er wendete sich von seiner jungen Schönen
ab und beobachtete die Herrin von Tare mit einiger Sorge. Schließlich entschuldigte er sich bei dem Mädchen
und schob sich langsam durch die Menge in Embeths
Richtung. Die junge Nor starrte ihm nach, und ihre Züge
verloren einiges von ihrer
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