Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
hochaufragenden Klippen zu vernehmen.
Die Kuppel … die Kuppel!
Aschure? Aschure, seid Ihr das?
Was hatte es mit der Kuppel auf sich? Was war dort
geschehen? Tränen schossen ihr in die Augen, und sie
verbarg ihr Gesicht.
»– und die schattige Allee führt immer noch geradewegs zum Tempel hinauf. Der Sternentanz erklingt in
den Gärten und Hainen, erfüllt die leerstehende Versammlungshalle der Ikarier.«
Sternenströmer glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.
Die gesamte Tempelanlage sollte tausend Jahre ohne
Schaden überdauert haben? Woher wußte Isgriff davon?
Bei den Sternen, der Baron und vielleicht sogar das ganze
Volk der Nor besaß vermutlich mehr Kenntnisse über die
Ikarier, als der Seneschall je zusammengetragen hatte.
Nicht nur Axis’ Vater, auch die anderen anwesenden
Ikarier wirkten wie betäubt, nachdem Isgriff ihnen die
Tempelanlage so detailgetreu beschrieben hatte und auch
von den neun Priesterinnen wußte. Selbst die Vogelmenschen redeten untereinander nur selten über die Neun
vom Orden der Sterne. Nicht einmal Axis hatte je von
ihnen gehört. Und da redete dieser Baron so offen von
ihnen, als sei er bestens mit allen ikarischen Mysterien
vertraut.
»Glaubt nicht, daß alle Achariten die alte Zeit vergessen hätten. Meine ältere Schwester hat einige Jahre als
eine der neun Priesterinnen gewirkt. Sternenströmer,
selbst wenn Ihr die Insel ohne Gegenleistung von mir
verlangt hättet, hätte ich sie Euch gern zurückgegeben.
Aber so«, grinste er Axis an, »bekomme ich nun dafür
die wertvollsten Handelsrechte des ganzen Königreiches.«
Der Krieger lächelte säuerlich. Man sollte seine Feinde eben nie unterschätzen, sagte er sich, genausowenig
wie seine Verbündeten.
»Doch jetzt will auch ich mich großzügig erweisen«,
verkündete Isgriff, der sich prächtig zu amüsieren schien.
»Für die Handelsrechte bin ich bereit, die Piraten darum
zu bitten, die Ikarier auf ihre Insel zu lassen.«
Der Baron lächelte in sich hinein, sah Axis an und
hoffte, der Mann würde immer noch seine Gedanken
lesen: Und selbst dann werde ich derjenige sein, der zuletzt lacht. Denn als die Seeräuber sich auf dem Eiland
niederließen, geschah dies mit Wissen, Duldung und
Unterstützung der Fürsten von Nor. Auf diese Weise
sollte nämlich der Schutz des Sternentempels vor dem
Seneschall sichergestellt werden. Kein Bruder oder Kirchenführer hätte es jemals gewagt, einen Fuß an diesen
Ort zu setzen, mußte er doch – zu Recht oder zu Unrecht
– befürchten, dort im Kochtopf einer grimmigen Piratenbande zu enden.
»Ich schätze, die Ikarier werden nichts dagegen haben,
den Seeräubern einen Teil des Eilands zu überlassen«,
entgegnete der Krieger. Das Lächeln war ihm inzwischen
restlos vergangen. Er hatte diesen Baron erheblich unterschätzt. Und die Verdienste, die Isgriff und seine Vorfahren für diese heilige Stätte der Vogelmenschen geleistet
hatten, beschämten ihn. »Wenn man sich vorstellt, wie
sehr sie den Ikariern heimlich geholfen haben«, murmelte
er.
Sternenströmer wandte sich um und schaute seinen
Sohn befremdet an.
Der folgende Abend gestaltete sich dann zu einem der
angenehmsten auf dem Marsch nach Süden. Man errichtete auf dem großen freien Platz weitere Zelte, kaufte
vorbeiziehenden Nomaden ein paar Ochsen ab und briet
sie am Spieß. Die Barone und Axis luden zu diesem
Festmahl ihre Offiziere und sonstigen Würdenträger ein,
auf daß sie Zeugen der Unterzeichnung eines Vertrags
wurden, der dafür sorgen sollte, daß den Ikariern und
Awaren viele ihrer heiligsten Orte zurückgegeben wurden.
Als der Krieger seine Unterschrift leistete, war er sich
der besonderen Bedeutung dieser Stunde durchaus bewußt. Mit diesem Dokument bestätigte sich hier sein
Anspruch sowohl auf den acharitischen als auch den
ikarischen Thron. Ebenso wurde quasi mit einem Federstrich aller Haß und Schmerz, der von den Axtkriegen
heraufbeschworen und von der nachfolgenden tausendjährigen Herrschaft des Seneschalls am Leben erhalten
worden war, beendet. Die Ikarier durften endlich zurück
in den Süden, und die Awaren würden ihnen, hoffentlich,
bald folgen – natürlich erst, wenn die Baumfreundin sie
hierherführte.
Nun steht mir nur noch die Aufgabe bevor, seufzte
Axis, während er die Feder an den verhüllten Ramu weiterreichte, Bornheld und Gorgrael zu besiegen.
Er hatte den Magier gebeten, den Vertrag im Namen
der Awaren zu unterzeichnen. Ramu war vor Freude in
Weitere Kostenlose Bücher