Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
doppelt so
viele, Koroleaner und Achariten. Erinnert Ihr Euch noch,
wie hoch unsere Verluste in Gorken waren? Siebentausend. Davon haben wir uns damals erholt, und deswegen
werden wir auch über diese Viertausend hinwegkommen.«
»Natürlich«, entgegnete Axis, »wir werden uns auch
von diesem Schlag erholen. Trotzdem halte ich jeden
dieser Tode für vollkommen sinnlos. Der Verlust jedes
einzelnen Soldaten, gleich, ob er auf unserer oder auf
Bornhelds Seite gekämpft hat, tut mir in der Seele weh.«
»Das wissen die Männer, die hinter Eurem Banner
stehen«, erklärte der Leutnant. »Und ich glaube, wir haben bereits Ersatz für die viertausend Gefallenen gefunden – von einer eher unerwarteten Seite.«
Der Krieger sah ihn fragend an: »Was meint Ihr damit?«
Belial winkte einen Mann aus der Schar der Gefangenen heran. Der trug einen zerrissenen und blutbefleckten
Waffenrock mit dem Wappen Bornhelds und hinkte
leicht beim Gehen.
»Herr, ich bin Hauptmann Bradoke«, sprach er Axis
mit militärisch klarer, aber achtungsvoller Stimme an,
»und der ranghöchste Offizier unter den Gefangenen.
Herr, wir haben für Bornheld gekämpft, weil er der König ist und wir ihm den Treueid geleistet hatten. Aber uns
hat seine Flucht gestern vom Schlachtfeld sehr mißfallen.
Auch reden wir schon seit Wochen an den Lagerfeuern
über die Prophezeiung. Und gestern nacht haben wir uns
sehr lange und gründlich darüber unterhalten. Großmütiger Herr, wir sind auf Gedeih und Verderb Eurer Gnade
ausgeliefert, und wir bitten trotzdem darum, unser
Schicksal selbst bestimmen zu dürfen.«
»Und das bedeutet?« fragte der Krieger.
Bradoke holte tief Luft. »Wir möchten uns hinter das
Banner der Prophezeiung stellen und uns Eurer Armee
anschließen, Herr.« Als er das Wohlwollen in Axis’
Blick sah, fuhr er fort: »Ich habe mit ansehen dürfen, wie
Ihr um jeden einzelnen Soldaten getrauert habt, der für
Eure Sache gefallen ist. So etwas hätte Bornheld nie für
uns getan. Deswegen möchten wir, und allen voran ich
selbst, fortan für Euch kämpfen.«
Der General sah seinen Leutnant an, und als dieser
nickte, musterte er den Hauptmann. Das, was er gerade
vorgebracht hatte, schien aufrichtig zu sein, aber durfte
Axis ihm trauen? Was bleibt mir anderes übrig?, sagte er
sich. Ich muß meine Armee für den nächsten Angriff
Gorgraels sammeln und kann es mir nicht leisten, tausend oder mehr Mann für die Bewachung der Kriegsgefangenen abzustellen. Schließlich nickte der Krieger und
fragte: »Dann beredet alles mit Belial. Für wie viele Soldaten sprecht Ihr?«
»Siebentausend, Herr.«
»Bei den Sternen!« rief Axis. »Wie sollen wir Euch
denn alle verpflegen?«
»Darüber zerbrecht Euch mal nicht den Kopf.« Isgriff
schlug ihm herzhaft auf die Schulter. »Karlon wird bald
Euer sein, und die Stadt faßt so viele Vorräte, daß wir
alle davon satt werden. Ich habe bereits einige Schiffe
dorthin in Marsch gesetzt, die Proviant und anderes Notwendige herbeischaffen sollen.«
»Bei den Göttern, Baron«, lachte Axis, »was würde
ich nur ohne Euch tun. Eigentlich sollte ich Euch gleich
das Königreich übertragen.«
Isgriff zwinkerte. »Meinem häßlichen Kopf würde eine Krone schlecht stehen, da sähe ich lächerlich aus.
Davon abgesehen habe ich mich, wie Ho’Demi auch,
dem Sternenmann verpflichtet.«
Abgesehen davon, die Armee und die zusätzlichen Truppen zu versorgen und am Gralsee das Hauptlager zu errichten, blieb Axis an diesem Tag nur noch eines zu tun.
Am Nachmittag ritt er mit einer kleinen Eskorte zum
Turm des Seneschalls, dem alten Narrenturm.
Zwei Jahre waren vergangen, seit er dieses Bauwerk
zum letzten Mal gesehen hatte. Dreißig Jahre lang war
der Krieger hier zuhause gewesen, hatte er bei seinem
geliebten Ziehvater Jayme gelebt. Drei Jahrzehnte lang
hatte er die Lehren des Seneschalls willig befolgt, und
ebensolange hatte er geglaubt, daß der Turm als äußere
Manifestation für die Liebe Artors und die umfassende
Fürsorge Seiner Kirche stand.
Doch heute betrachtete er den weißen Turm mit anderen Augen. Jetzt standen seine glänzenden Mauern als
Symbol für die Lügen und Täuschungen, die der Seneschall dem Volk von Achar aufgezwungen hatte. Und als
Sinnbild der Grausamkeit, mit der die Kirche gegen die
Awaren und Ikarier vorgegangen war, für all die Verschwörungen und Folterungen, mit denen diese beiden
Völker verfolgt worden waren. Mittlerweile wußte Axis
auch, daß es sich beim
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