Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
aufgerissenen Brust.
»Axis!« schrie Faraday und drückte sich erschrocken
an ihn.
Als Licht und Hitze vergingen, drehten sich die Anwesenden langsam wieder um. Wo eben noch der Adler
gestanden hatte, kauerte nun ein nackter Ikarier mit goldenen und silbernen Flügeln und goldenem Haar, dessen
violette Augen sich ängstlich und verwirrt umsahen.
»Freierfall!« rief Abendlied. Sie schob sich an ihrem
vor Staunen reglosen Vater vorbei und eilte zu dem Jüngling.
»Abendlied?« fragte Freierfall. »Wo sind wir? Was
geht hier vor? Wer sind all diese Menschen?«
Sie kniete sich neben ihn, nahm seine Hand und drehte
sich zu Axis um, der immer noch Faraday in den Armen
hielt. »Danke«, flüsterte sie ihm zu, »tausendmal danke.«
Dann schloß sie Arme und Schwingen um den verlorengeglaubten Geliebten, umarmte ihn ganz zart, und ihre
Stimme war sanft und zärtlich, als sie ihm sagte, wie sehr
sie ihn liebe.
Doch der Krieger achtete nicht so sehr auf die beiden,
als vielmehr auf die Frau, die plötzlich vor ihm stand.
Ebenso nackt wie Freierfall, strahlte sie weitaus mehr
Reife und Würde aus. Er vermutete, daß es sich bei ihr um
Zecherach handeln müsse, die fehlende fünfte Wächterin.
Hochgewachsen und ruhig stand sie da, keine Schönheit
im herkömmlichen Sinn, aber auf ihre Weise sehr verlockend und ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.
Schwarze Augen unter feuerrotem Haar, so rot wie der
Rubin, dessen letzte Splitter jetzt von ihr abfielen.
»Danke«, sagte sie nur wie vorhin Abendlied, »tausend Dank von mir.«
Und dann stand schon Jack vor ihr.
Der Krieger wandte sich an Faraday und küßte sie.
»Ich sollte wohl heiraten«, lächelte er, »und da fiel mir
gerade ein, daß Ihr ja seit kurzem Witwe seid. Wollt Ihr
meine Frau werden, Faraday?«
»Ja!« antwortete sie mit fester Stimme und umarmte
ihn, ihr blutbeflecktes Äußeres mißachtend.
Jorge starrte das Paar an. Er konnte noch immer nicht
fassen, wie Axis seinen Bruder getötet hatte.
»Er hat gemordet, um seine alte Ordnung zu retten«,
sagte Axis mit nicht zu lauter Stimme, und der Graf erkannte, daß er ihn ansprach. Der General sah ihn über
den Kopf Faradays hinweg an. »Bedenkt die Ermordung
von Freierfall, Jorge, deren Zeuge Ihr wart. Erinnert
Euch an Priams Erkrankung und baldigen Tod, nachdem
er vor allen verkündet hatte, daß er sich mit mir zusammenzuschließen gedenke. Vergeßt auch nicht die Tausende der Gekreuzigten und Erschlagenen in Skarabost,
deren einziges Verbrechen darin bestand, einer neuen
Ordnung zu folgen, nachdem der König die alte nicht
mehr aufrechterhalten konnte.«
Der Graf senkte den Blick.
»Denkt aber auch an das neue Leben, das dem Tod
meines Bruders entsprang«, fuhr Axis fort, weil er Jorge
davon überzeugen wollte, daß Bornhelds Tod und die
damit verbundenen Umstände unvermeidlich gewesen
waren. »Freierfall, zurückgeholt aus den Hallen der Unterwelt, zurückgekehrt ins Leben, aus dem er niemals so
vorzeitig und so brutal gerissen hätte werden dürfen. Und
Zecherach, die von den Herzögen von Ichtar gezwungen
wurde, in einem Rubin festzusitzen. Doch nun ist sie
endlich frei und kann ihren Platz unter den fünf Wächtern einnehmen.«
»Ich verstehe«, sagte der Graf, und sein Blick glitt
noch einmal über die sterblichen Überreste seines früheren Lehnsherren. »Eure Neue Ordnung verlangt, mit
allen Mitteln durchgesetzt zu werden, nicht wahr?«
»Ich tue alles, was erforderlich ist, um ihr zum Erfolg
zu verhelfen.«
Jorge sah den Krieger einen Augenblick lang an und
wandte sich dann ab. Axis drückte Faraday noch einmal
an sich und ließ sie dann los. »Yr, führt sie von hier fort.
Kümmert Euch bitte um sie und seht dann zu, daß sie
etwas Schlaf findet.«
Die Zuschauer hatten sich von ihrer Erstarrung erholt.
Nun standen sie in Gruppen zusammen und redeten leise
miteinander. Sternenströmer, der bei seiner Tochter und
seinem Neffen saß, drehte sich in diesem Moment zu
seinem Sohn um und grinste ihn an.
»Heute abend habt Ihr nachdrücklich bewiesen, welch
mächtiger Zauberer Ihr seid.« Er warf Axis seinen ikarischen Ring zu, und dieser fing ihn und steckte ihn sich
rasch wieder an.
»Ich hatte Hilfe, Vater, doch davon werde ich Euch
erst später berichten. Freierfall?«
Der Vogeljüngling sah vom Boden auf, wo er immer
noch saß, gehalten von seiner Liebsten, die an seiner Seite
weinte. »Axis, was ist geschehen? Wo bin ich hier?«
»Ihr wart weit fort, Freierfall, doch nun habt Ihr
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