Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
sich, schloß ihm die Augen und zog etwas Goldenes aus seinem Haar. Der goldene Kronreif. Das Amtszeichen der Könige von Achar. Nach einem Moment des
Zögerns streifte er seinem Bruder auch den Amethystring
vom Finger, ebenfalls ein Symbol seiner Herrschaft.
Dann säuberte er beide Stücke von dem Blut und betrachtete sie. Vermutlich standen sie nun ihm zu. Reif
wie Ring standen für die Macht des Königs.
Aber der Krieger hatte nicht vor, diesen Thron zu
besteigen. Er wollte ihn nicht, und in seinem neuen Tencendor sollte dieser Thron auch nicht mehr gebraucht
werden. Und was fing er nun mit diesen beiden Insignien
an? Langsam setzte er den Weg zu seiner Mutter fort.
Rivkahs Blick fiel sofort auf sein blutverschmiertes
Gesicht. So voller Bornhelds Lebenssaft stand er vor ihr.
Und wieviel mehr von diesem befleckte den Boden und
die Umstehenden? Rivkah mußte an die Umstände denken, unter denen ihre beiden Söhne zur Welt gekommen
waren. Wie anders als blutig hätte der Zwist zwischen
ihnen enden können?
»Rivkah«, begann der Krieger leise. Er hielt immer
noch Kronreif und Ring in der Hand, weil ihm für beides
noch keine Lösung eingefallen war.
Seine Mutter streckte eine zitternde Hand nach ihm
aus. Der Oberkörper ihres jetzt einzigen Sohnes wies
etliche Verwundungen auf, die zwar noch bluteten, aber
nicht lebensgefährlich waren. Nur eine der Wunden ging
bis auf den Knochen.
»Ihr seid verletzt«, flüsterte Rivkah, und ihre Finger
fuhren federleicht über seine Brust.
»Diese Wunden werden rasch verheilen, sobald ich
das Zelt des Feldarztes aufgesucht habe und er mich nach
den Regeln seiner Kunst zusammengeflickt hat.«
Seine Mutter nickte und senkte den Blick. »Es war
schier unerträglich für mich, Euch beide kämpfen zu
sehen. Ich habe Bornheld nie geliebt, und für das, was er
Priam angetan hat, habe ich ihn regelrecht gehaßt, und
dennoch … und dennoch …« Tränen füllten ihr die Augen, und sie konnte nicht weitersprechen.
Der Krieger beugte sich vor und umarmte sie ziemlich
unbeholfen.
»Wer erträgt es schon«, flüsterte sie an seiner Brust,
»Zeuge zu werden, wie die eigenen Söhne sich auf Leben
und Tod bekämpfen?«
Aus einer inneren Eingebung heraus reichte er ihr den
Reif und den Ring. »Nehmt Ihr die Krone und den Amethyst an Euch. Ich will sie nicht haben. Ihr aber seid die
letzte Eurer Linie. Tragt sie, laßt sie einschmelzen oder
verkauft sie, mir soll alles recht sein.«
Seine Mutter seufzte und nahm beides an sich. Ihr Vater hatte den Reif auf dem Kopf und den Ring am Finger
getragen. Ebenso ihr Bruder und die vielen Könige vor
ihm.
Axis wandte sich an den Fürsten, der dunkel und ernst
hinter Rivkah stand. »Nehmt Euch ein paar Soldaten,
Magariz, oder besser noch, ein paar von den Dienern, die
immer noch hier herumstehen, schwatzen und Maulaffen
feilhalten. Sie sollen Bornhelds Leichnam forttragen und
über die Stadtmauer auf den Abfallhaufen werfen. Nur
die Krähen dürften jetzt noch Gefallen an ihm finden.«
Rivkah zuckte zusammen, und ihre Finger schlossen
sich fester um die beiden Herrschaftssymbole.
Erst spät am Abend fand Axis etwas Zeit für sich. Er versuchte nachzudenken, während seine Wunden noch vor
der Behandlung durch den Feldarzt juckten und brannten.
Sie hatten den Palast rasch in ihren Besitz bringen können,
denn nirgendwo hatte sich Widerstand gezeigt. Belial und
die Wachen hatten die Residenz von den höchsten Turmspitzen bis hinab in die mit Exkrementen verseuchten
Kerker durchkämmt. Aber sie stießen nirgends auf Soldaten. Nur auf Diener, die sich sofort unterwürfig nach ihren
Wünschen erkundigten, und Höflinge, die sie gleich mit
Schmeicheleien überschütteten. Erstere schickte der Leutnant zu ihren Pflichten zurück, letztere in ihre Stadthäuser.
Für Speichellecker bestand zur Zeit kein Bedarf. Ziemlich
am Ende ihrer Suche stöberten sie ein Dutzend Brüder des
Seneschalls auf und den Grafen Isend nebst einer herausgeputzten Dame, die sich in einer Kammer versteckt hatten. Axis, der an diesem Tag genug von Tod und
Hinrichtung hatte, befahl, sie auf das nächste Schiff nach
Koroleas zu bringen.
Sobald der Palast durchsucht und gesichert war, begab
der Krieger sich in die Stadt. Er redete mit den Menschen, beruhigte die Ängstlichen und nahm Karlon offiziell in Besitz. Die Bürger befanden sich größtenteils
nicht in Panik. Beinahe gleichgültig nahmen sie auf, daß
Axis an die Stelle Bornhelds getreten war. Vielmehr
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