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Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04

Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04

Titel: Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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den Fingern packte, herumdrehte und herausriß, spürte es Axis wie an seinem eigenen Rücken.
Als die Klinge auf Knochen traf, wand der Krieger
sich und flehte um Gnade.
Genau wie damals das Mädchen.
Dann fiel das Messer zu Boden, und Hagen suchte
auch noch nach den letzten Resten von Flügelknochen
und Flugmuskeln und riß und zerrte alles heraus. Axis
wimmerte, bettelte, schrie, weinte und verzweifelte.
Ganz wie damals Aschure.
Als der Priester dann wieder die Klinge zur Hand
nahm, um damit unter die Haut zu fahren und letzte verborgene Federn aufzuspüren, versank der Krieger in der
Schwärze der Verzweiflung.
So war es dem Mädchen damals ebenfalls ergangen.
Wie Aschure in jener Zeit durchlebte Axis dann auch
jede einzelne Sekunde der folgenden sechs Wochen. Der
Zeit, in der die Flügelknötchen sich wieder neu bilden
wollten. Den Tagen, an denen Hagen morgens ihre blut-
und eiterverkrusteten Verbände aufriß, über das fluchte,
was er darunter zu sehen bekam, und wieder das Messer
zu Hilfe nahm. Um ein weiteres Mal zu stechen, zu bohren, zu suchen, zu reißen, zu zerren, zu verwünschen, zu
schaben, zu drehen und abzuschneiden …
    Ich verstehe jetzt, rief Axis in die Dunkelheit, die ihn
umgab. Aschure und er hatten sich an einen Ort zurückgezogen, der ihnen die einzige Möglichkeit zu überleben
zu bieten schien.
Ich verstehe jetzt.
Wirklich? fragte sie leise zurück. Tut Ihr das wirklich?
    Danach verband Hagen sie wieder aufs neue und legte
das bleiche und schmächtige Mädchen mit dem wunden
und eiternden Rücken aufs Bett. Derweil vergrub er die
verkohlten Überreste ihrer untreuen Mutter. Am nächsten
Morgen untersuchte er sie wieder, fluchte, besorgte sich
das Messer, schnitt in die Knoten, suchte und entfernte
alles, verband sie ein weiteres Mal, brachte sie wieder ins
Bett und verließ sie, um die Messe zu lesen, um in der
Bethalle den großmächtigen und gütigen Artor zu preisen, um die Seelen der braven Bürger von Smyrdon auf
ihrer Reise ins Nachleben zu geleiten … und kehrte dann
zu Aschure zurück, hob ihren Kopf und flößte dem Mund
Wasser ein.
»Warum laßt Ihr mich überhaupt leben?«
Der Pflughüter lächelte. »Um Euch leiden zu sehen«,
antwortete er. »Das gefällt mir. Soll ich noch einmal
nach Eurem Verband sehen?«
    Ich verstehe jetzt, flüsterte der Krieger, erhielt diesmal
aber keine Antwort. Statt dessen hörte er das Schluchzen
eines kleinen Mädchens, das von den Schmerzen, dem
Haß und dem Verlust den Verstand zu verlieren drohte.
Überleben konnte sie nur, wenn es ihr gelang, alle Erinnerungen und alle in ihr aufkeimenden Zauberkräfte in
einen Kerker zu sperren, ihn mit einer Tür zu verschließen und mit Riegeln zu versehen. Und alles, was damit
zusammenhing, zu verdrängen, unterdrücken, weit von
sich weg zu schieben … sich nur noch darauf zu konzentrieren, »normal« zu sein. Denn nur so konnte sie überleben. Eine andere Möglichkeit gab es für sie nicht.
    Er befand sich an einem pechschwarzen Ort, und er wußte nicht, wie er ihn verlassen konnte. Aschures fremdartige Macht, die sie so lange verborgen und weggesperrt
hatte, hatte ihn hierher geführt, und er besaß keine Möglichkeit, sich daraus zu befreien.
    »Aschure?« flüsterte er wieder in die Schwärze. »Aschure!«
Keine Antwort.
»Aschure?« Axis kroch langsam und ohne Orientierung durch das Dunkel.
Wieder nichts.
Er kauerte sich hin, lauschte und dachte nach. Wenn er
sie wäre, würde er dann antworten?
Nein; denn die Finsternis war ihr ganzer Schutz.
Was konnte er ihr sagen. Was könnte er ihr nur sagen?
»Verzeiht mir. Bitte, vergebt mir.«
Kein Laut.
»Verzeiht mir den Tod Eurer Mutter.«
Stille.
»Vergebt mir Euren Schmerz und Eure furchtbare
Angst.«
Schweigen.
»Verzeiht mir, daß Euch die Kindheit genommen, die
Unschuld geraubt wurde.«
Schweigen.
»Vergebt mir, was die grausame Welt Euch angetan
hat.«
Nichts.
»Verzeiht mir, daß ich Euch nicht vertraut habe, daß
ich Euch keinen Glauben schenkte.«
Immer noch Schweigen, aber jetzt spürte er, daß sie
sich hier irgendwo aufhielt.
»Helft mir, Aschure, denn ich fühle mich verloren. Ich
habe Angst, und ohne Euch bin ich so einsam. Helft
mir!«
»Verzeiht mir«, drang ein leises Flüstern an sein Ohr.
Der Krieger brach in Tränen aus, weil ihn ihr dringender
Wunsch nach Vergebung so sehr anrührte. »Verzeiht mir,
Mama, daß ich mich nicht an Euren Namen erinnern
kann.«
Dann lag sie in seinen Armen, das kleine

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