Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
verloren.
Aschure öffnete die Augen und begann durch die Augen eines fünfjährigen Mädchens zu schauen.
Und was sie erblickte, erblickte auch Axis.
Ihre Augen blinzelten und öffneten sich. Blinzelten noch
einmal und taten sich weiter auf. Vor ihr breitete sich das
Innere des Pflughüterhauses in Smyrdon aus. Ein gepflegtes Heim mit schönen Holzmöbeln. Hagen, dem
Pflughüter, ging es offenkundig nicht schlecht.
Es war früh am Abend, die Lampen brannten bereits,
und im Kamin prasselte ein Feuer. Jemand hatte den
Abendbrottisch gedeckt, doch das Essen lag unberührt
auf schweren weißen Platten. Die Augen, die all dies
sahen, gehörten einem kleinen Mädchen, das sich in die
hinterste Ecke der Stube verkrochen hatte. Möglichst
weit weg von der Feuerstelle, die sie nicht mochte.
Denn dort war Hagen gerade damit beschäftigt, seine
Frau zu ermorden. Sie lag hingestreckt auf dem Boden,
den Kopf schon fast in den Flammen. Der Pflughüter
hielt sie an den Boden gepreßt und würgte sie mit beiden
Händen.
»Hure!« fuhr der Gottesmann sie an. »Ich habe nicht
dieses widernatürliche Geschöpf gezeugt, das jetzt dort
hinten in der Ecke kauert, oder? ODER? Wer war es,
Weib? Sagt es mir, wer war es?« Und er schob das wunderschöne Antlitz seiner Frau noch ein Stückchen näher
ans Feuer.
Sie hatte blauschwarze dichte Locken, und der AxisTeil, der hier zusah, erkannte trotz der von Schlägen und
Todesangst verzerrten Gesichtszüge ihre Schönheit. Ihre
Augen waren von einem rätselhaften dunklen Blau und
sie hatte eine zarte weiße Haut, wenn sie nun auch an
einigen Stellen rußgeschwärzt und an anderen verbrannt
war. Bald würde ihr Haar in Flammen stehen.
»Wer?« brüllte Hagen erneut und erhob sich, um sie
tiefer in die glimmenden Kohlen zu schieben. Axis befiel
ein furchtbarer Schrecken. Wurde er da nur Zeuge, wie
der Pflughüter seine Frau ermordete, oder trieb er nicht
selbst Aschure in den Tod, indem er ihr diese Bilder noch
einmal zumutete.
»Aschure, hört mich!« schrie die Frau im Bewußtsein
ihres nahen Endes. »Hört meine Worte! Dieser Mann ist
nicht Euer Vater!«
»Das habe ich inzwischen auch schon herausgefunden!«
brüllte der Pflughüter sie nieder. »Das weiß ich schon
längst. Seit ich heute nachmittag die Federn gesehen habe,
die dem Mädchen auf dem Rücken wachsen. Das Gefieder,
das Ihr bereits seit Wochen unter Verbänden zu verdecken
sucht, damit ich nichts davon merke. Seitdem weiß ich, daß
dieses Balg nicht meine Tochter sein kann. Deswegen gesteht mir, wer sie gezeugt hat! Wer?«
»Aschure!« schrie die Mutter jetzt wieder, und ein
Knistern verriet, daß die Flammen auf ihre Locken übergriffen. »Aschure!« schrie sie noch einmal, jetzt umrahmt von einem Flammenkranz. »Aschure, Ihr seid ein
Kind der Götter. Sucht die Antwort im Tempelberg …!«
Hilflos schlug sie mit den Fäusten gegen Hagens Hände
an ihrer Kehle, um der Marter zu entkommen, die sie nun
umklammert hielt.
»Aschure!« Ihre Stimme wurde fast von dem Knacken
des Feuers übertönt, das ihren Kopf ergriffen hatte. »Ihr
müßt leben! Hört Ihr, Ihr müßt weiterleben! Euer Vater
… Aschure, Euer Vater ist …!«
Was immer sie noch sagen wollte, ging in einer Explosion verloren. Der Priester prallte zurück, weil die
Flammen ihm die Hände versengten. Die Fäuste der Mutter fuhren aus dem Brand und versuchten, das Feuer auf
ihrem Kragen zu ersticken. Einen Moment später stand
ihr Hemd in Flammen, und ein wenig danach, brannten
auch ihre Röcke lichterloh.
Minutenlang – oder stundenlang? – starrten Aschure
und Axis auf den sich windenden, verkohlenden Körper
im Kamin. Immer noch kamen Geräusche von ihm. Doch
ob es die nach Luft kämpfenden Lungen waren oder das
Zerplatzen des Körpers, wußten die beiden nicht zu sagen.
Der Geruch war schauderhaft.
Als der verkohlte Leichnam sich nicht mehr rührte, drehte der Priester sich zu dem Mädchen um.
»Und jetzt zu Euch«, verkündete er leise. »Nun seid
Ihr an der Reihe.«
Er nahm das Bratenmesser mit dem Beingriff vom
Tisch und beugte sich über das zusammengekauerte
Mädchen.
Hagen riß ihr das Kleid auf, griff ihr ins Haar und
suchte mit dem Messer nach der richtigen Stelle.
Als das Mädchen spürte, wie die Spitze in ihr Fleisch
drang, erlebte es der Krieger am eigenen Leibe mit.
Ebenso als Hagen das Messer tiefer und tiefer hineinbohrte und in der Wunde drehte.
Und auch als der Pflughüter die freigelegten Knoten
mit
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