Der Stierkampf
Nacht in seinem Redaktionszimmer verbracht und unter Anspannung aller Kräfe an der Vorbereitung des Stierkampfes gearbeitet. Trotzdem vermochte Sakiko ihren Wunsch bei ihm durchzusetzen, am Silvesterabend den Neujahrsglocken gemeinsam mit ihm zu lauschen, und so verbrachten beide diese Stunden in einem ruhigen, ihnen schon bekannten Hotel in Okasaki bei Kyoto, wo man das Rauschen des Gartenbachs bis ins Zimmer hören konnte.
Es war eine prachtvolle Sternennacht mit einem großen, dunstigen Mond. Der Wind, der seit längerem geweht hatte, war plötzlich fort. Punkt zwölf Uhr begannen – erstmals nach vielen Jahren – von den großen Tempeln Kyotos die Glokken zu ertönen. Tsugami, der bis dahin, an einem kleinen Tische den mitgebrachten Whisky langsam schlürfend, in sein neues Notizbuch das Programm bis zum 20. Januar, dem ersten Stierkampfag, eifrig eingeschrieben hatte, legte, als die Glocken zu läuten anfingen, die Feder weg und lauschte ihnen. Sie ertönten in festen Intervallen von nah und fern, die zahllosen Klänge schichteten sich nachhallend übereinander, stießen zusammen, schrien gemeinsam auf und trugen die kalte Luf der späten Nacht wie in unzähligen Wasseradern herbei.
Die beiden saßen lange schweigend da. Es war eine wundersam ruhige Stunde, wie sie Sakiko mit Tsugami bisher noch nie erlebt hatte. Ihr war, als sei aus dem Gesicht dieses Mannes, der mit einem Mal nicht mehr an seinen Beruf dachte, ein teuflischer Zauber gewichen. Es erschien ihr nun von seltsam durchsichtiger Naivität. Was war das doch, dachte sie, für ein bemitleidenswertes Gesicht! Und dann wurde sie plötzlich nicht etwa von Liebe oder Haß ergriffen, sondern war fast davon überzeugt, daß dieser Mann ohne sie verloren sei. Es war dies ein unsagbar reines Gefühl, das mit Liebe nichts zu schaffen hatte. Unauförlich tönten die Tempelglocken, eine nach der anderen, weiter.
Als die einhundertachte halb verklungen war, erhob sich Tsugami, öffnete das Fenster und blickte, eine Weile dort stehend, hinaus. Auch Sakiko verließ ihren Platz und trat zu ihm hin. Draußen breitete sich eine unheimlich dunkle, tiefe Nacht, durch die nur noch der Nachhall der Glocken strömte. Durch das Dickicht zahlloser Bäume drang kein einziges Licht der Stadt herüber. Sakiko fühlte sich plötzlich beunruhigt. Bei dem Gedanken, daß sie jetzt beide, wie zwei sich innig Liebende ruhig und dicht beieinanderstehend, den Glockenklängen lauschten, die das alte Jahr verabschiedeten, überkam sie eine drohende Vorahnung. Erlebten sie beide nicht vielleicht deswegen eine solche Nacht gemeinsam, weil ihnen bevorstand, sich bald zu trennen?
Dann trat Sakiko wieder zurück und setzte sich vor einen kleinen, roten Toilettentisch, der in einer Ecke des Zimmers stand. Noch immer pochte hefig ihr Puls. Wie ein bleiches Fuchsgespenst starrte ihr aus dem Spiegel das Gesicht einer Frau entgegen, die drei – für eine Frau zu Beginn ihrer Dreißiger so kostbare – Jahre diesem Manne nur in Leid und Kummer angehangen hatte. Auch einer leichten Erkältung wegen brachte Sakiko einige Januartage, in denen es wärmer als üblich war, in ihrem Pensionszimmer zu. Nach drei Tagen häufen sich in der Neuen-Osaka-Abendzeitung die Artikel, die von Stierkämpfen handelten. Ein berühmter Opernsänger, der seit langem den Jose aus ›Carmen‹ ungemein erfolgreich spielte, legte seine Meinung über den Stierkampf dar; und bereits am Tag darauf wurde in großer Aufmachung eine Plauderei mit dem als Sportsmann berühmten Grafen F über Stierkämpfe veröffentlicht; ein alter Bildhauer, der ausschließlich kämpfende Stiere zu schnitzen pflegte, wurde den Lesern mit einem Photo vorgestellt, und unter der bedeutungsvollen Überschrif »Vom Standpunkt des Fachmanns« ließen sich angehende Box-Champions über den Stierkampf aus. Als Sonderbeitrag erschien mit dem Titel »Ich besuchte den Stierkampf in Süd-Iyo« der Bericht eines Journalisten, der eigens in die Stadt W gesandt worden war. Sakiko interessierte sich für den Stierkampf nicht im mindesten, aber sie spürte an der Art und Plazierung der Artikel sofort Tsugamis zwar gefühllose, aber fiebrig heiße, ja verhexte Augen. Die für ihn bezeichnenden Ideen, Pläne, Vorlieben und Angewohnheiten sprangen ihr ohne weiteres aus der Zeitung entgegen, kaum daß sie sie aufgeschlagen hatte. Allein schon wenn sie Artikel las, in denen man für die Veranstaltung dadurch künstlich Stimmung machen wollte, daß man einen
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