Der Stierkampf
normale Tsugami, der sie, wenn er wollte, ohne weiteres für ein ganzes Jahr vergessen konnte. Nun war alles zu Ende. Er kehrte bestimmt nie wieder zu ihr zurück. Aus irgendeinem Grund hatte sich dieses Gefühl zu einer unerschütterlichen Gewißheit verwandelt.
Sie stieg, Tsugami folgend, die linke AußenfeldTribüne empor. In der letzten Reihe nahmen sie beide Platz.
»Du bist also gekommen! Hast mich nicht vergessen?«
Es war dies von ihr nicht etwa ironisch gemeint. Der Mann Tsugami von heute erschien ihr so fern, daß ihr diese Worte wie von selber über die Lippen gekommen waren.
»Mit dem letzten Händeklatschen ist entschieden worden, daß man den Kawasakiund den Mitani-Stier bis zum Ende weiterkämpfen läßt – ich glaube, das waren nun etwa siebzig Prozent der Zuschauer. Überlege einmal! Siebzig Prozent der Leute da langweilt sich bei diesem öden, traurig monotonen Kampf nicht!«, sagte er plötzlich, nachdem er mit einem stechenden Blick, bei dem nicht klar war, ob er feindselig oder verächtlich gemeint sei, umhergesehen hatte. Dann blickte er flüchtig aber scharf Sakiko in die Augen und fuhr fort:
»Also so viele Menschen wetten bei dem Stierkampf! Es geht ihnen dabei gar nicht um den Sieg oder die Niederlage eines Stiers, sondern sie wollen für sich selber Sieg oder Niederlage entschieden haben …«
Ein leichtes Lachen zuckte um seinen Mund. Sakiko erschien es erschreckend kalt. Wenn Tsugami von »Wetten« sprach, so hatte doch vor allem die Zeitung ihr Schicksal aufs Spiel gesetzt, und auch Tashiro wettete, und ebenso hatten Omoto und Hana Mitani gewettet.
»Ja, alle wetten! Nur du allein willst nichts aufs Spiel setzen!«, entschlüpfe es ihr so unerwartet, daß sie, nachdem die Worte ausgesprochen waren, erschrak. Tsugamis Augen schimmerten flüchtig auf. Es waren stolze Augen, in denen irgendwo aber auch Traurigkeit wohnte.
»Ich weiß nicht warum, aber ich empfinde das so. Wenn ich dich heute so betrachte …«, fügte sie hinzu, um das, was ihr zu ihrer eigenen Verblüffung entfahren und was scharf wie ein Rasiermesser war, nachträglich zu verteidigen, aber plötzlich spürte sie ein hefiges Gefühl, von dem sie nicht wußte, ob es Trauer oder Zorn war, und sie hätte sich am liebsten impulsiv an Tsugamis Brust geworfen. Doch hatte sie diesmal unzweifelhaf voll Haß gesprochen.
»Du hast von Anfang an nichts aufs Spiel gesetzt. Du kannst das gar nicht!«
»Tja, und du? …«, fragte er unwillkürlich zurück. Sakiko zuckte bestürzt zusammen. Dann verzog sie ihr Gesicht, das plötzlich so bleich wurde, daß sie es selber spürte.
»Selbstverständlich habe auch ich gewettet!«, erwiderte sie, wobei sie jedes Wort deutlich betonte. Ja, sie hatte in der Tat gewettet. In dem Augenblick, als Tsugami »und du?« fragte, setzte sie das leidvolle und langwierige Problem, ob sie sich von diesem Mann für immer trennen solle, impulsiv auf den Ausgang des da unten in der Mitte des Rings stattfindenden Kampfes: siegte der rote Stier, wollte sie Tsugami verlassen.
Sakiko ließ ihre Blicke erneut über den Platz schweifen. Im Ring standen die beiden Stiere – der rote und der schwarze – unbeweglich wie ein Standbild. Über den Kampfring und die den Bambuszaun umgebende Menge schien nun, nachdem der Regen aufgehört hatte, die kalte Wintersonne. Die Treiber schlugen den beiden Tieren auf das Hinterteil und die Flanken, um sie aufzureizen, Flatternd wehten die Banner im Wind, die Lautsprecher wiederholten monoton die gleichen Worte, sie riefen mit einer Stimme, die nach Ermattung, Zorn und Klage klang. Auf den Tribünen herrschte ungewöhnliche Stille. Man vernahm keinerlei Lachen, keine Stimmen, unbewegt starrten die Zuschauer auf den Ring hinunter. Plötzlich verwandelte sich die dunkle Kälte, die – stagnierend wie die Abenddämmerung – das Stadion einhüllte, in fast unerträgliches Leid und schnürte Sakikos Brust zusammen.
In diesem Augenblick geschah es, Die in dem Stadion herrschende Stille brach in sich zusammen, mit lauten Ausrufen erhob sich die Menge wie ein Mann von ihren Sitzen. Das zwischen den beiden Stieren bestehende Gleichgewicht war offenbar zerbrochen, der eine, von wilder Angriffslust fast berstende Sieger rannte, außerstande sein überschäumendes Triumphgefühl zu unterdrücken, innerhalb des Bambuszauns im Kreis herum. Sakiko konnte nicht gleich erkennen, welcher der beiden Stiere den Sieg davongetragen hatte. Sie zügelte ihren Impuls, sich an Tsugamis
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