Der Stierkampf
alten Mann aus Shikoku von seinen dreißigjährigen Erfahrungen als Stier-Treiber erzählen ließ, oder wenn mitgeteilt wurde, daß die Tagesschauen Nihon-News und World News die Atmosphäre auf dem Kampfplatz in einem Film festhalten wollten, erschien vor ihren Augen Tsugamis Gestalt, der hinter alldem stand, sämtliche Projekte schmiedete, Verhandlungen führte und unter Aufbietung all seiner Kräfe um den Erfolg der Veranstaltung kämpfe.
Am 8. Januar wollte Sakiko ihn endlich wiedersehen. Sobald sie sich dazu entschlossen hatte, vermochte sie ihre Ungeduld kaum mehr zu zügeln. Vom nächsten Tag an mußte sie in dem Modegeschäf an der Shinseibashi-Brücke, wo sie angestellt war, ihre Arbeit wiederaufnehmen, und außerdem war jener sie so beunruhigende Gedanke aus der Silvesternacht auch nach Beginn des neuen Jahres wie eine wunderliche Geschwulst in ihrem Herzen zurückgeblieben.
Als sie bei der Redaktion anrief, erfuhr sie, daß Tsugami sich seit ein paar Tagen schon im Büro des Hanshin-Baseballstadions aufielt.
Tsugami hatte ihr streng untersagt, aus irgendeinem Grund an seiner Arbeitsstätte zu erscheinen, aber darum kümmerte sie sich nun nicht. Es war ein nur spärlich heller, kalter Nachmittag, jeden Augenblick schien es schneien zu wollen. Sakiko stieg am Bahnhof Nishinomiya aus. Sie hatte das moderne Gebäude des riesigen Rundstadions bisher of vom Zug aus gesehen, aber heute betrat sie es zum ersten Mal. Als sie in dem leeren, wie ausgestorben wirkenden Gebäude das Ende des Gangs erreicht hatte und dann nach links abbog, traf sie auf ein kleines Geschäfszimmer, das wie eine Kabine aussah und zu den gewaltigen Massen des Gebäudes in groteskem Mißverhältnis stand.
Sie drückte die Tür auf. Vier, fünf Männer – es mochten Journalisten oder Besucher sein – saßen Zigaretten rauchend um ein Shichirin-Öfchen. Jenseits davon stand Tsugami, den Mantelkragen hochgeschlagen und den Hörer seines Schreibtischtelefons ans Ohr gepreßt, und telefonierte mit lauter Stimme. Als er Sakiko eintreten sah, stach sein Blick kalt in ihr Herz. Es war ein vorwurfsvoller, im übrigen aber gefühlloser Blick. Nachdem er das ziemlich lange Telefonat beendet hatte, verließ er den Raum. Sakiko folgte ihm. Er schritt durch den sanf ansteigenden, zickzackförmigen und halbdunklen Zementgang vor ihr her, und seine Schritte hallten überlaut durch das Gebäude. Sie stiegen sie bis zum dritten Stock hinauf, und da, wo der Gang zur Tribüne hinausführte, blieb Tsugami stehen und wartete auf Sakiko.
»Was gibt’s?«, waren seine ersten Worte, als sie nähertrat. Seine Wangen waren bleich und erschreckend eingefallen. Er warf, wie er dies bei schlechter Laune zu tun pflegte, flüchtig einen stechenden Blick auf sein Gegenüber und sah dann wieder weg.
»Darf ich nicht zu dir kommen, wenn es nichts Besonderes gibt?«, antwortete sie in einem möglichst unbeschwert klingenden Ton, während sie, das Gesicht halb in dem dunkelblauen Mantel vergraben, ihn von unten her ansah. Sie hätte sonst wohl etwas spitzer gesprochen. Um sie her befanden sich die obersten Reihen des Innenfelds; auf den weiten, leeren Tribünen, zu denen man von hier aus hinuntersehen konnte, zogen sich kalt wirkende Bänder aus vielen primitiven Holzstühlen dahin. Infolge der Höhe wehte ein scharfer Wind, und die dünne Nachmittagssonne ließ das aschgraue Gebäude des Stadions öde und grob erscheinen.
»Habe ich dir nicht gesagt, daß ich im Augenblick irrsinnig zu tun habe?«
»Ich sehe dich heute zum ersten Mal im neuen Jahr! Schau mich nicht so wütend an, weil ich jetzt hier bin! Was bedeute ich dir denn überhaupt noch??«
»Laß das! Schon wieder fängst du damit an … Ich bin wie zerschlagen vor Müdigkeit!« Seine Stimme klang so hefig, daß sie fast Hilflosigkeit verriet. Sakiko sah bleich zu ihm auf, der unzufrieden und gleichgültig eine Zigarette zwischen den Lippen hielt und sein Haar im kalten Wind flattern ließ. Als Tsugami merkte, daß sie sich wie zu einem Zweikampf gegenüberstanden, sagte er:
»Na – setz dich!«, und nahm auf dem Stuhl zu seinen Füßen Platz. Sakiko setzte sich daneben. Soweit der Blick reichte, dehnten sich die winterlich kahlen Felder um das Baseballstadion nach Westen und Osten aus. Während des Krieges waren die wichtigsten Rüstungsfabriken von Osaka und Kobe in die große Ebene zwischen den beiden Städten evakuiert worden, aber von hier aus betrachtet, lagen die Gebäude jetzt seltsam
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