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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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nie eine Rasur gebraucht. »Fowler!« rief er. »Könnten Sie diesem verflixten Kerl klarmachen …«
    Ich erklärte es ihm.
    »Genau dasselbe habe ich ihm auch gesagt, aber er tut immer so als verstünde er kein Französisch.«
    »Das liegt vielleicht am Akzent.«
    »Ich war drei Jahre in Paris. Mein Akzent ist gut genug für einen verdammten Vietnamesen.«
    »Die Stimme der Demokratie«, sagte ich.
    »Was ist das?«
    »Ich glaube, es ist ein Buch von York Harding.«
    »Ich verstehe Sie nicht.« Dann warf er einen argwöhnischen Blick auf den Koffer, den ich in der Hand hielt. »Was haben Sie da drinnen?«
    »Zwei lange Hosen aus weißer Seide, zwei Seidengewänder, etliche Damenhöschen – drei sind es, glaube ich. Alles einheimische Erzeugnisse, keine amerikanischen Hilfslieferungen.«
    »Sind Sie dort drinnen gewesen?« fragte er weiter.
    »Ja.«
    »Haben Sie von der Geschichte gehört?«
    »Ja.«
    »Es ist furchtbar«, sagte er, »einfach furchtbar.«
    »Ich nehme an, daß der Gesandte durch den Vorfall sehr beunruhigt sein wird.«
    »Na und ob! Er ist gerade beim Hochkommissar; und er hat um eine Unterredung mit dem Präsidenten gebeten.« Er legte mir die Hand auf den Arm und führte mich von den Autos weg. »Sie kannten den jungen Pyle gut, nicht wahr? Ich kann nicht darüber hinwegkommen, daß ihm so etwas zustoßen mußte. Ich kenne seinen Vater, Professor Harold C. Pyle – Sie werden von ihm schon gehört haben.«
    »Nein.«
    »Er ist die größte Kapazität in der ganzen Welt auf dem Gebiet der Unterwassererosion. Sahen Sie nicht vor einigen Monaten sein Bild auf der Titelseite von ›Time‹?«
    »Oh, ich glaube, ich erinnere mich. Im Hintergrund war eine abbröckelnde Klippe, und im Vordergrund eine goldumrandete Brille.«
    »Das ist er, Ich mußte den Text für das Telegramm an seine Familie aufsetzen. Es war schrecklich. Ich liebte diesen Jungen, als wäre er mein eigener Sohn.«
    »Das bringt Sie in ein recht nahes Verhältnis zu seinem Vater.«
    Er richtete seine feuchten braunen Augen auf mich und sagte: »Was ist los mit Ihnen? So spricht man doch nicht, wenn ein feiner junger Kerl …«
    »Es tut mir leid. Der Tod berührt jeden von uns anders.« Vielleicht hatte er Pyle wirklich geliebt. »Was schrieben Sie in Ihrem Telegramm?« fragte ich.
    Ganz ernst zitierte er wörtlich: ›»Melden mit Bedauern Heldentod Ihres Sohnes im Dienste der Demokratien Der Gesandte unterschrieb es persönlich.«
    »Heldentod«, sagte ich. »Könnte das nicht etwas Verwirrung stiften? Ich meine, bei seinen Angehörigen daheim. Die Wirtschaftsmission klingt so gar nicht nach Armee. Bekommen sie dort etwa auch Verwundetenabzeichen?«
    Er sagte mit leiser Stimme, vor Zweideutigkeit ganz angespannt: »Er hatte Sonderaufträge.«
    »Ach ja, das vermuteten wir alle.«
    »Er sprach doch nicht darüber, oder doch?«
    »Keineswegs.« Vigots Worte fielen mir wieder ein: »Er war ein sehr stiller Amerikaner«.
    »Haben Sie eine Idee, warum man ihn ermordete? Und wer es tat?« fragte der Handelsattaché.
    Plötzlich war ich wütend; ich war der ganzen Bande überdrüssig, mit ihren privaten Vorräten an Coca-Cola, ihren fahrbaren Lazaretten, ihren Packards und ihren nicht mehr ganz neuen Geschützen. Ich sagte: »Ja, ich weiß es. Sie ermordeten ihn, weil er zum Leben zu unschuldig war. Jung war er, unwissend und töricht, und er ließ sich ein. Er hatte von der ganzen Sache nicht mehr Ahnung als ihr alle; und ihr habt ihm Geld gegeben und York Hardings Bücher über den Osten und gesagt: ›Vorwärts! Gewinne den Osten für die Demokratie!‹ Niemals sah er etwas, von dem er nicht in einem Hörsaal gehört hatte, und seine Bücher und Hochschullehrer machten einen Narren aus ihm. Wenn er einen Toten erblickte, konnte er nicht einmal die Wunden sehen. Eine Rote Gefahr war er, ein Streiter für die Demokratie.«
    »Ich hielt Sie für seinen Freund«, sagte er in vorwurfsvollem Ton.
    »Ich war sein Freund. Ich hätte ihn gern gesehen, wie er daheim die Sonntagsbeilage seiner Zeitung liest und die Baseballresultate verfolgt. Ich hätte ihn gern in der sicheren Obhut eines standardisierten amerikanischen Mädchens gesehen, das ein Abonnement bei einem Buchklub hat.«
    Er räusperte sich verlegen. »Natürlich«, sagte er. »Diese unselige Sache hatte ich ganz vergessen. Da stand ich eindeutig auf Ihrer Seite, Fowler. Er benahm sich sehr schlecht. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß ich mit ihm eine sehr lange Aussprache über

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