Der stille Amerikaner
jenes Mädchen hatte. Sehen Sie, ich war in der vorteilhaften Lage, Professor Pyle und seine Frau zu kennen …«
»Vigot wartet auf Sie«, unterbrach ich ihn und ging davon. Jetzt erst bemerkte er Phuong; und als ich einen Blick zurück warf, sah ich, daß er mich mit gequälter Ratlosigkeit betrachtete: ein ewiger älterer Bruder, der nichts verstand.
Drittes Kapitel
1
Das erste Zusammentreffen zwischen Pyle und Phuong ereignete sich wiederum im »Continental«, etwa zwei Monate nach seiner Ankunft. Es war am frühen Abend, in der plötzlichen Kühle, die unmittelbar nach Sonnenuntergang eintrat, und in den Verkaufsbuden der Seitengassen waren die Kerzen angezündet worden. Die Würfel klapperten auf den Kaffeehaustischen, wo die Franzosen Quatre Cent Vingt-et-un spielten, und durch die Rue Catinat fuhren die Mädchen in ihren weißen Seidenhosen auf dem Fahrrad nach Hause. Phuong trank Orangensaft und ich ein Glas Bier, und wir saßen in Schweigen, zufrieden, daß wir zusammen waren. Da kam Pyle zögernd heran, und ich stellte ihn vor. Er hatte so eine Art, Frauen unverwandt anzustarren, als hätte er noch nie eine gesehen, und dann zu erröten. »Darf ich Sie und die Dame an unseren Tisch bitten?« sagte er. »Einer unserer Attachés …«
Es war der Handelsattaché. Er strahlte uns von der Terrasse herab an, ein breites, warmes begrüßendes Lächeln, so vertrauensvoll wie der Mann auf dem Plakat, der sich seine Freunde erhält, weil er das richtige Deodorant verwendet. Des Öfteren hatte ich gehört, daß man ihn Joe nannte, aber seinen Familiennamen hatte ich nie erfahren. Geräuschvoll und mit großen Gesten rückte er Stühle zurecht und rief nach dem Kellner, obwohl ein solcher Eifer im »Continental« unmöglich mehr zeitigen konnte als eine Wahl zwischen Bier, Brandy mit Soda und Vermouth-Cassis. »Rechnete gar nicht damit, Sie hier zu treffen, Fowler«, sagte er. »Wir erwarten die Jungs von Hanoi zurück. Dort scheint es eine ziemliche Schlacht gegeben zu haben. Waren Sie nicht mit von der Partie?«
»Ich habe es satt, vier Stunden zu einer Pressekonferenz zu fliegen«, meinte ich.
Er sah mich mißbilligend an und sagte: »Diese Burschen legen sich mächtig ins Zeug. Ja, als Geschäftsleute oder beim Rundfunk könnten die wahrscheinlich doppelt soviel verdienen, und ohne jede Gefahr.«
»Dort müßten sie vielleicht arbeiten«, sagte ich.
»Die Leute wittern förmlich den Kampf – wie Schlachtrosse«, fuhr er überschwenglich fort und überhörte die Worte, die ihm nicht behagten. »Zum Beispiel Bill Granger – den können Sie von keinem Kampfgetümmel fernhalten.«
»Damit dürften Sie recht haben. Ich sah ihn neulich abends in der Bar des ›Sporting‹ in eines verwickelt.«
»Sie wissen ganz genau, wie ich es meine.«
Zwei Rikschafahrer kamen, wild in die Pedale tretend, die Rue Catinat herabgesaust und hielten Kopf an Kopf vor dem »Continental«. Im ersten Fahrzeug saß Granger, das zweite enthielt ein kleines, graues, stummes Häufchen Elend, das Granger jetzt auf das Straßenpflaster herauszuziehen begann. »Na, komm schon, Mick«, sagte er. »Komm schon.« Dann fing er mit seinem Lenker über den Fahrpreis zu streiten an. »Da. Nimm’s oder laß es bleiben«, sagte er und warf das Fünffache der angemessenen Summe auf die Straße, so daß sich der Mann danach bücken mußte.
Nervös sagte der Handelsattaché: »Ich habe das Gefühl, diese Jungs verdienen eine kleine Entspannung.«
Granger warf seine Last auf einen Stuhl. Dann fiel sein Blick auf Phuong. »Ah, Joe, du alter Gauner! Wo hast du die aufgelesen? Hab’ gar nicht gewußt, daß du’s noch in dir hast! Entschuldigt mich; muß mal aufs Klo. Gebt auf Mick acht.«
»Rauhe Soldatensitten«, sagte ich.
Pyle wurde wieder rot und sagte ernst: »Ich hatte Sie beide nicht eingeladen, wenn ich gewußt hätte …«
Das graue Bündel regte sich auf seinem Sessel, der Kopf fiel vornüber auf die Tischplatte, als wäre er nicht befestigt. Es seufzte – ein langer, pfeifender Seufzer, aus dem unsägliche Langeweile sprach – und lag dann still da.
»Kennen Sie ihn?« fragte ich Pyle.
»Nein. Ist er nicht von der Presse?«
»Ich hörte, wie Bill ihn mit Mick anredete«, sagte der Handelsattaché.
»Ist nicht ein neuer United-Press-Korrespondent da?«
»Der da ist es nicht. Ich kenne den Neuen. Vielleicht einer von Ihrer Wirtschaftsmission? Sie können unmöglich alle Ihre Leute kennen – es sind doch
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