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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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besuchen?«
    »Das wüßte ich nicht zu sagen.«
    »Er sagte mir, wenn er nicht mit dir zum Dinner gehen könnte, würde er hierher kommen.«
    »Mach dir keine Sorgen. Er wird kommen. Bereite mir noch eine Pfeife.«
    Als sie sich über die Flamme beugte, fiel mir ein Gedicht von Baudelaire ein:
    »Mon enfant, ma sœur …« Wie ging es nur weiter?

    Aimer à loisir,
    Aimer et mourir
    Au pays qui te ressemble.

    Draußen am Flußufer schliefen die Schiffe, »dont l’humeur est vagabonde«. Ich dachte, ihrer Haut müßte ein zarter Duft von Opium entströmen, wenn ich daran röche, und ihre Farbe glich dem Schein der winzigen Flamme im Lämpchen. Die Blumen auf ihrem Kleid hatte ich an den Wasserläufen oben im Norden gesehen. Sie war in diesem Land heimisch wie eine Pflanze, und ich wollte nie mehr nach Hause zurückkehren.
    »Ich wünschte, ich wäre Pyle«, sagte ich laut; doch der Schmerz war begrenzt und erträglich – dafür sorgte das Opium. Jemand klopfte an die Tür.
    »Pyle«, sagte sie.
    »Nein. Das ist nicht sein Klopfen.«
    Wieder klopfte es, diesmal schon ungeduldig. Phuong erhob sich rasch, sie streifte gegen das gelbe Bäumchen, so daß es seine Blüten erneut über meine Schreibmaschine streute. Die Tür ging auf. »Monsieur Folaire«, sagte eine Stimme in Befehlston.
    »Ich bin Fowler«, antwortete ich. Wegen eines Polizisten stand ich nicht auf – ich konnte seine kurze Khakihose sehen, ohne den Kopf zu heben.
    Er erklärte mir in fast unverständlichem vietnamesischem Französisch, daß ich auf der Stelle – sofort – schnell – bei der Sureté zu erscheinen hätte.
    »Bei der französischen Sureté oder bei der vietnamesischen?«
    »Bei der französischen.« In seinem Munde klang das Wort »française« wie »françang«.
    »Wozu?«
    Das wußte er nicht: er hatte nur den Auftrag, mich zu holen. »Toi aussi«, sagte er zu Phuong.
    »Sagen Sie gefälligst ›vous‹, wenn Sie mit einer Dame sprechen«, herrschte ich ihn an. »Wieso wußten Sie, daß sie hier ist?«
    Er wiederholte bloß, daß dies seine Befehle seien.
    »Ich komme morgen früh.«
    »Sur le champ«, beharrte er, eine kleine, saubere, unbeugsame Erscheinung. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu streiten; also erhob ich mich, nahm meine Krawatte und schlüpfte in die Schuhe. In diesem Land hatte die Polizei stets das letzte Wort: Sie konnte meine Erlaubnis, mich im Staatsgebiet frei zu bewegen, rückgängig machen; sie konnte mich von den Pressekonferenzen ausschließen lassen; wenn sie wollte, konnte sie mir sogar eine Ausreisebewilligung verweigern. Das waren die offenen, die gesetzmäßigen Methoden; aber in einem Land, das sich im Krieg befand, war Gesetzmäßigkeit etwas Unwesentliches. Ich kannte einen Mann, der ganz plötzlich und auf unerklärliche Weise seinen Koch verlor. Er verfolgte seine Spur bis zur vietnamesischen Sureté, wo ihm der Beamte versicherte, daß der Mann nach einer Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt worden sei. Seine Familie sah ihn nie wieder. Vielleicht hatte er sich zu den Kommunisten geschlagen, vielleicht war er in eine der privaten Armeen eingetreten, die rings um Saigon aus dem Boden schossen – die der Hoa-Haos, der Caodai-Anhänger oder des General Thé. Vielleicht saß er in einem französischen Gefängnis. Vielleicht war er drüben in Cholon, im Chinesenviertel, fröhlich damit beschäftigt, an Mädchen Geld zu verdienen. Oder vielleicht hatte ihn während des polizeilichen Verhörs der Herzschlag getroffen. Ich sagte: »Zu Fuß gehe ich nicht. Sie werden mir eine Rikscha zahlen müssen.« Man mußte seine Würde wahren.
    Deshalb auch lehnte ich die Zigarette ab, die mir der französische Offizier in der Sureté anbot. Nach drei Opiumpfeifen war mein Verstand klar und hellwach; er vermochte solche Entscheidungen mit Leichtigkeit zu treffen, ohne dabei die wichtigste Frage aus den Augen zu lassen – was wollen sie von mir? Ich hatte Vigot zuvor etliche Male auf Gesellschaften getroffen – er war mir aufgefallen, weil er in unbegreiflicher Weise in seine Frau verliebt zu sein schien, eine auffallende, unechte Blondine, die ihn überhaupt nicht beachtete. Jetzt war es zwei Uhr morgens, und er saß müde und niedergeschlagen im Zigarettenrauch und in der drückenden Hitze. Seine Augen waren durch einen grünen Schirm geschützt. Auf dem Schreibtisch hatte er einen Band Pascal aufgeschlagen liegen, um sich damit die Zeit zu vertreiben. Als ich gegen seine Absicht, Phuong gesondert zu

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