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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Hause. Sie können wohl den Fahrer ausfindig machen. Ich erwartete Pyle um zehn, er kam aber nicht.«
    »Warum erwarteten Sie ihn?«
    »Er rief mich an und sagte, er müsse mich in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«
    »Haben Sie eine Idee, was das sein mochte?«
    »Nein. Für Pyle war alles wichtig.«
    »Und seine Freundin da? Wissen Sie, wo sie war?«
    »Um Mitternacht wartete sie unten auf der Straße auf ihn. Sie war besorgt. Sie weiß nichts. Nun, können Sie nicht sehen, daß sie noch immer auf ihn wartet?«
    »Ja«, sagte er.
    »Und Sie können doch nicht im Ernst annehmen, daß ich ihn aus Eifersucht ermordete, oder sie ihn – aus welchem Grund denn? Er wollte sie doch heiraten.«
    »Ja.«
    »Wo hat man ihn gefunden?«
    »Er lag im Wasser unter der Brücke nach Dakow.«
    Das »Vieux Moulin« befand sich neben der Brücke. Bewaffnete Polizei stand auf der Brücke, und das Restaurant war durch ein starkes Eisengitter vor Handgranaten geschützt. Nachts war es gefährlich, über die Brücke zu gehen, da sich nach Einbruch der Dunkelheit das gesamte jenseitige Flußufer in den Händen der Vietminh befand. Als ich beim Dinner saß, konnte ich nicht mehr als fünfzig Meter von seiner Leiche entfernt gewesen sein.
    »Es war sein Unglück, daß er sich in die Politik hineinziehen ließ«, sagte ich.
    »Um offen zu sein: besonders leid tut es mir nicht«, erwiderte Vigot. »Er hat viel Schaden angerichtet.«
    »Gott bewahre uns stets vor den Unschuldigen und vor den Guten«, sagte ich.
    »Vor den Guten?«
    »Ja. Er war gut – auf seine Art. Sie sind Katholik. Sie würden seine Art nicht begreifen. Wie dem auch sei, letztlich war er ein verdammter Yankee.«
    »Wären Sie bereit, ihn zu identifizieren? Sie müssen entschuldigen, aber es ist Vorschrift, keine sehr angenehme Vorschrift.«
    Ich nahm mir nicht die Mühe, ihn zu fragen, weshalb er nicht auf einen Beamten der amerikanischen Gesandtschaft wartete, denn ich wußte Bescheid. Gemessen an unseren kaltschnäuzigen Methoden, erscheinen jene der Franzosen ein wenig altmodisch: Sie glauben noch an das Gewissen, an das Schuldgefühl und meinen, ein Verbrecher soll dem Opfer seiner Tat gegenübergestellt werden; vielleicht verliert er dann die Fassung und verrät sich. Während wir die Steintreppe zum Keller hinunterstiegen, wo die Kühlanlage leise summte, sagte ich mir von neuem, daß ich unschuldig war.
    Sie zogen ihn heraus wie ein Tablett mit Eiswürfeln und ich betrachtete ihn. In der Eiseskälte waren seine Wunden zu friedlicher Gelassenheit erstarrt. »Sehen Sie, sie öffnen sich in meiner Gegenwart nicht«, sagte ich zu Vigot.
    »Comment?«
    »Ist das nicht unter anderem der Zweck dieser Sache? Gottesgericht in irgendeiner Form? Aber Sie haben ihn steifgefroren. Im Mittelalter hatte man noch keine Tiefkühler.«
    »Sie erkennen ihn?«
    »O ja.«
    Pyle schien mehr denn je fehl am Platz zu sein: Er hätte daheimbleiben sollen. Ich sah ihn wie in einem Familienalbum, beim Reiten auf einer vornehmen Ranch, beim Baden auf Long Island, im Kreis seiner Kollegen in einer Wohnung im dreiundzwanzigsten Stockwerk. Er gehörte in die Welt der Wolkenkratzer und der Expreßaufzüge, der Eiscreme und der Martini-Cocktails, dorthin, wo man zum Lunch Milch trinkt und an Bord des »Merchant Adventurer« Sandwiches mit Hühnerfleisch ißt.
    »Daran ist er nicht gestorben«, sagte Vigot und deutete auf eine Wunde in der Brust. »Er wurde im Schlamm ertränkt. Wir fanden Schlamm in der Lunge.«
    »Sie arbeiten flink.«
    »Das muß man in diesem Klima.«
    Sie schoben das Tablett zurück und schlossen die Tür. Die Gummidichtung machte ein dumpfes Geräusch.
    »Sie können uns also gar nicht helfen?« fragte Vigot.
    »Nicht im geringsten.«
    Ich ging mit Phuong zu meiner Wohnung zurück. Jetzt war ich nicht mehr auf meine Würde bedacht. Der Tod raubt uns alle Eitelkeit – sogar die Eitelkeit des betrogenen Liebhabers, der seinen Schmerz nicht zeigen darf. Sie wußte immer noch nicht, was vorgefallen war, und ich besaß nicht die Fähigkeit, es ihr allmählich und schonend beizubringen. Ich war Berichterstatter: Ich dachte in Schlagzeilen. »Amerikanischer Beamter in Saigon ermordet«. Wenn man für eine Zeitung arbeitet, lernt man nicht, wie man schlimme Nachrichten schonend beibringt, und sogar in dieser Stunde mußte ich an meine Redaktion denken und Phuong fragen: »Stört es dich, wenn wir kurz beim Telegrafenamt halten?« Ich ließ sie auf der Straße warten, sandte

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