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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Terrasse über uns machten, förmlich in sich hineinzuschrumpfen – auf der Terrasse, von der man allgemein annahm, daß sie größere Sicherheit vor Handgranaten bot. Aber er kritisierte niemanden.
    »Haben Sie York Harding gelesen?« fragte er mich.
    »Nein. Nein, ich glaube nicht. Was hat er denn geschrieben?«
    Er starrte zur Milchbar auf der anderen Straßenseite hinüber und sagte verträumt: »Das sieht aus wie eine gute amerikanische Erfrischungsbar.« Ich fragte mich, welche Tiefe an Heimwehschmerz sich hinter der seltsamen Auswahl verbergen mochte, die er bei der Betrachtung einer so völlig fremden Szenerie traf. Aber hatte nicht auch ich schon bei meinem ersten Spaziergang in der Rue Catinat sofort den Laden bemerkt, wo man Parfum von Guerlain zu kaufen bekam, und mich mit dem Gedanken getröstet, daß Europa schließlich doch nur dreißig Stunden entfernt war? Widerstrebend wandte Pyle seinen Blick von der Milchbar ab und sagte: »Harding schrieb ein Buch mit dem Titel ›Der Vormarsch Rotchinas‹, ein sehr scharfsinniges Buch.«
    »Ich habe es nicht gelesen. Kennen Sie den Verfasser?«
    Er nickte feierlich und versank in Schweigen. Aber im nächsten Augenblick brach er es wieder, um den Eindruck, den seine Antwort gemacht haben mußte, zu korrigieren. »Gut kenne ich ihn nicht«, sagte er. »Ich habe ihn im ganzen zweimal gesehen, glaube ich.« Das machte ihn mir sympathisch – seine Annahme, es könnte angeberisch wirken, wenn er sich auf seine Bekanntschaft mit – wie hieß der Mensch gleich? – York Harding berief. Später sollte ich erfahren, daß er ungeheure Hochachtung vor den Leuten hatte, die er als ernste Schriftsteller bezeichnete. Dieser Begriff schloß Romanciers, Dichter und Dramatiker aus, sofern sie nicht ein – wie er es nannte – zeitgenössisches Thema behandelten, und selbst dann hielt er es für besser, einen nüchternen Tatsachenbericht zu lesen, wie er aus der Feder York Hardings kam.
    Ich sagte: »Wissen Sie: wenn man lange an einem Ort lebt, da mag man nichts mehr darüber lesen.«
    »Natürlich höre ich mir immer gern an, was ein Mann vor Ort zu sagen hat«, entgegnete er zurückhaltend.
    »Um es dann mit Hilfe von York Harding zu überprüfen?«
    »Ja.« Vielleicht hatte er die Ironie herausgehört, denn er fügte mit seiner gewohnten Höflichkeit hinzu: »Ich würde es als besondere Auszeichnung betrachten, wenn Sie sich die Zeit nähmen, mich über die wesentlichen Punkte aufzuklären. Denn sehen Sie, Harding war schon vor über zwei Jahren hier.«
    Seine Loyalität gegenüber Harding – wer immer dieser Harding sein mochte – gefiel mir. Sie hob sich wohltuend von den herabsetzenden Äußerungen der Presseleute und ihrem unreifen Zynismus ab. Ich sagte: »Trinken Sie noch eine Flasche Bier; und ich will Ihnen die Verhältnisse in groben Umrissen schildern.«
    Während er mich gespannt anstarrte wie ein Vorzugsschüler seinen Lehrer, begann ich meine Ausführungen damit, daß ich ihm die Situation im Norden erklärte, in Tonkin, wo die Franzosen damals gerade das Delta des Roten Flusses hinhaltend verteidigten, wo Hanoi und der einzige Hafen der nördlichen Provinz, Haiphong, liegen. Hier wuchs der meiste Reis, und jedesmal, wenn er reif war, begann die alljährliche Schlacht um den Besitz der Ernte.
    »Soweit der Norden«, sagte ich. »Die Franzosen, die armen Teufel, werden sich vielleicht halten können, wenn nicht die Chinesen den Vietminh zu Hilfe kommen. Ein Krieg im Dschungel, auf den Bergen und im Sumpf, in den Reisfeldern, wo man bis zu den Schultern im Wasser watet und wo der Feind einfach verschwindet, seine Waffen vergräbt und Bauernkleider anzieht. Aber in der feuchten Hitze von Hanoi kann man gemütlich verkommen. Dort werden keine Bomben geworfen. Weiß Gott, warum nicht. Man könnte es einen regulären Krieg nennen.«
    »Und hier im Süden?«
    »Die Franzosen kontrollieren die Hauptstraßen bis sieben Uhr abends: Danach kontrollieren sie die Wachttürme und die Städte – zum Teil. Das heißt aber nicht, daß Sie sich hier in Sicherheit befinden; sonst gäbe es nicht die Eisengitter vor den Restaurants.«
    Wie oft hatte ich dies alles schon erklärt! Ich war wie eine Schallplatte, die zur Belehrung der Ankömmlinge immer wieder abgespielt wurde – für den Parlamentsabgeordneten, der auf Besuch kam, für den neuen britischen Gesandten. Bisweilen erwachte ich mitten in der Nacht und sagte vor mich hin: »Nehmen wir den Fall der Anhänger Caodais.

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