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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Auf dem rechten Knie war ein blauer Fleck. Da hatte sie sich vorgestern gestoßen, auf dem Schulhof, sie hatte es mir erzählt. Warum schreit sie denn nicht? Er tut ihr doch weh. Auf dem Friedhof hatte ich sie schreien hören, aber jetzt war sie ganz still. Und dann schaute er mich an. Vielleicht hatte ich geschrien.
    »Laß sie los.« Ich weiß nicht, wie es kam, aber für einen Moment dachte ich, es wäre Franz. Er war ihm so ähnlich in diesen Sekunden, so furchtbar ähnlich. Sein Gesicht wirkte sehr erstaunt, irgendwie lächerlich. Eins von ihren Beinen fiel auf das Laken. Es lag da wie weggeworfen. Da schlug ich zu. Und weil er gerade sein Gesicht wieder von mir wegdrehte, traf ich ihn seitlich am Hals. Der Polizei sagte ich später, ich hätte gar nicht gewußt, daß ich ein Messer in der Hand hielt. Aber ich wußte es ganz genau. Es dauerte so entsetzlich lange. Ich hatte nicht gewußt, wie lange ein Mensch bluten muß, ehe er endlich umkippt. Und die ganze Zeit über schaute er mich an. Und als ich schon dachte, daß man ihn gar nicht umbringen konnte, daß er vielleicht eins von diesen tausendjährigen Ungeheuern war, von denen Anke früher so gern gelesen hatte, da kippte er endlich zur Seite. Er kippte ganz langsam. Und er hielt immer noch ein Bein unter seiner Achsel fest, preßte sich die freie Hand gegen den Hals und grinste. Wirklich, er grinste. Vielleicht kam es mir auch nur so vor. Nachdem er dann zur Seite gekippt war, zog ich Nicole vom Bett und legte sie daneben auf den Boden. Ich konnte sie doch nicht neben ihm liegen lassen. Sie war sehr blutig. Ihr Gesicht und ihr Oberkörper, ihr Haar und die Arme, aber auch die Beine, der Bauch. Ich wollte sie waschen und konnte sie nicht tragen. Ich holte nur ein Tuch aus dem Bad und sah das Wasser in der Wanne stehen. Als ich dann wieder neben ihr war, sah ich das Höschen bei der Tür auf dem Boden liegen. Es war ganz sauber, hatte nicht einen Spritzer abbekommen. Aber es lag ja auch gut zwei Meter vom Bett entfernt. Ich hatte es wohl fallenlassen. Ich hob es auf, nachdem ich mir die Hände gründlich an dem nassen Tuch abgewischt hatte, und legte es in das Schubfach der Kommode. Nicoles Höschen nahm ich heraus und brachte es gleich nach unten. Dann ging ich wieder hinauf, wusch Nicole und brachte auch sie hinunter. Plötzlich ging es, sie kam mir so leicht vor. Ich legte sie auf ihr Bett und deckte sie zu. Anschließend ging ich zu den Hofmeisters hinüber. Ich muß entsetzlich ausgesehen haben, vielleicht ein bißchen verrückt und sehr blutig. Nur im Kopf war ich ganz klar, irgendwie leicht und frei, endlich frei. Herr Hofmeister telefonierte für mich. Er ging dann auch mit mir hinüber. Seine Frau kam wenig später nach. Herr Hofmeister ging gleich nach oben. Er blieb nicht lange, als er wieder hinunterkam, war er sehr blaß. Er nickte mir zu, beugte sich über Nicole, legte ihr die Finger an den Hals und flüsterte:
    »Wie geht’s dem Kind?« Als ob ich das gewußt hätte.
    »So was«, flüsterte Herr Hofmeister, als er sich wieder aufrichtete.
    »Er kam mir ja gleich ein bißchen komisch vor. Aber das bildet man sich wahrscheinlich nur ein.« Zuerst kam der Krankenwagen, dann der Notarzt und mit ihm auch ein Streifenwagen mit zwei uniformierten Polizisten. Sie waren verhältnismäßig jung, stellten keinerlei Fragen. Es kam mir sehr merkwürdig vor. Der Arzt untersuchte Nicole, mir wollte er eine Spritze geben, ich wollte das nicht. Ich brauchte keine Spritze, ich war ganz ruhig. Nicole wurde weggebracht. Ich wäre gern mitgefahren, aber als ich aufstand, um meine Tasche zu holen, stellte sich mir einer der Polizisten in den Weg. Der Arzt sprach mit ihm, aber sie bestanden darauf, daß ich bleiben müsse. Die Kollegen würden gleich kommen. Sie kamen dann auch wenig später. Noch mal zwei Polizisten, in Zivil diesmal und nicht aus Köln. Sie wußten nicht viel von Hedwigs Tochter und hatten keine Ahnung, daß der Student immer noch leugnete. Aber er leugnete ja gar nicht, er sagte die Wahrheit. Ich hatte ein bißchen Zeit gehabt und mir überlegt, was ich ihnen sagen sollte. Es ging dann ganz flüssig. Daß Herr Genardy vor einigen Wochen bei mir einge- zogen war. Daß ich ihn gleich in der ersten Woche abends im Zimmer meiner Tochter angetroffen hatte, als ich von einem Besuch bei meiner Schwester zurückkam. Daß er mir erzählt hatte, Nicole hätte im Schlaf geschrien, und er hätte nur einmal nach ihr sehen wollen, weil ich nicht da war. Daß

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