Der stille Herr Genardy
sagte sie jedesmal ,»oder der Typ ist nicht normal.« Dann lachte sie meist.
»Ich an deiner Stelle würde mal nachsehen, vielleicht hat er gar keinen.« Hedwig mochte Franz nicht, meinte, er sei zu alt für mich. Und er sei spießig, weil er jeden Samstag zum Beichten und jeden Sonntag morgen in die Kirche ging. Wenn Franz mich abends vom Geschäft abholte und sie ihn draußen im Wagen sitzen sah, lästerte sie oft.
»Wo fahrt ihr denn jetzt hin? Bringt er dich gleich heim, oder wollt ihr noch ein bißchen Händchenhalten? Vielleicht hast du heute Glück, und er greift dir wenigstens mal ans Knie. Das wäre doch schon ein Fortschritt.« Dann schüttelte sie den Kopf.
»Ich versteh das nicht, Sigrid. Wer kauft denn heute noch die Katze im Sack?« Natürlich sprach ich mit Franz darüber, nicht so direkt, nur in Andeutungen. Es war doch sonst keiner da, mit dem ich darüber hätte sprechen können. Und manchmal war ich doch verunsichert. Da wünschte ich mir schon, er würde mir zumindest einmal die Bluse aufknöpfen. Wenn ich nur daran dachte, wurde mir ganz warm im Bauch. Manchmal, wenn ich nachts nicht einschlafen konnte, stellte ich mir vor, wie das sein würde. Da strich ich auch schon mal selbst mit den Fingerspitzen über meine Brust. Nachher habe ich mich dafür geschämt, und mein Busen kam mir auch viel zu klein vor. Über das, was Hedwig sagte, lachte Franz nur.
»Laß sie doch reden«, meinte er.
»Wenn wir jetzt noch damit warten, wird es später um so schöner.« Wahrscheinlich hatte er recht, was ihn selbst betraf. Aber bei mir hatte sich da eine Menge aufgestaut, so eine Erwartungshaltung, daß die Hochzeitsnacht ein einmaliges Erlebnis sein würde, und eben die Angst, daß Franz anschließend enttäuscht von mir wäre. Zur Hochzeit schenkte Hedwig mir ein Nachthemd. Es war sehr kurz und ganz aus Spitze, fast durchsichtig.
»Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob wir den Kerl damit auf Touren kriegen«, sagte sie und grinste dabei.
»Sonst gibt das am Ende wieder nichts.« Ich mußte ihr versprechen, das Nachthemd auch anzuziehen. Versprochen habe ich es, nur angezogen habe ich es nicht. Als Franz das Ding auf dem Bett liegen sah, fragte er, von wem ich es hätte. Und als ich es ihm sagte, wurde er richtig wütend.
»Das sieht ihr ähnlich«, sagte er ,»soll sie das Ding doch selbst anziehen, wenn ihr so ein Fummel gefällt. Ich brauche so was nicht. Ich mag dich so, wie du bist, Siggi. Zieh einfach eins von deinen Nachthemden an.« Das tat ich dann auch. Franz ging solange aus dem Zimmer. Er meinte, ich würde mich vielleicht schämen, wenn er mir beim Ausziehen zuschaue. Dann kam er zurück, setzte sich zu mir aufs Bett, so wie Vater sich früher immer zu mir gesetzt hatte. Mir war ganz weich im Bauch, und Franz zitterte ein wenig vor Aufregung. Er beugte sich über mich und flüsterte:
»Mein kleines Mädchen, ich muß dir jetzt ein bißchen weh tun, aber ich bin ganz vorsichtig.« Dann schob er mir das Nachthemd hoch, nicht sehr weit, nur bis zum Nabel. Er war sehr lieb und geduldig, streichelte mich lange, ich hatte trotzdem starke Schmerzen. Die hatte ich auch später oft, vielleicht hat es mir deshalb nie Spaß gemacht, mit Franz zu schlafen. Ich dachte lange Zeit, daß ich auch in der Hinsicht nicht normal war. Franz gab sich doch immer so viel Mühe. Nie hat er etwas von mir verlangt, was ich nicht konnte. Und bei mir krampfte sich schon alles zusammen, wenn er nur ins Bad reinkam, während ich in der Wanne saß. Richtig übel wurde mir dann oft. In den ersten beiden Jahren schlief er jeden Samstag mit mir. Später nicht mehr so oft. Er hat wohl schnell gemerkt, daß es mir lieber war, wenn er mich in Ruhe ließ. Er war oft traurig deswegen. Und ich mußte immer an meine Mutter denken, daß ich genauso kalt und herzlos war wie sie. Daß ich gar nicht zärtlich sein konnte. Ich war auch nur froh, nicht öfter belästigt zu werden. Manchmal habe ich mich selbst dafür gehaßt. Ich liebte Franz doch, ich liebte ihn mehr als sonst einen Menschen. Er war alles, was ich hatte. Und ich hätte ihm so gern alles gegeben, was er brauchte. Die ganze Woche über nahm ich mir vor, es am Samstag anders zu machen. Ihm einmal zu sagen, daß ich es gern mochte, wenn er mit mir schlief, daß ich mich schon darauf gefreut hatte. Und wenn es dann soweit war, brachte ich die Zähne nicht auseinander, fühlte nur das Würgen im Hals und die Krämpfe im Bauch. Und Franz machte Überstunden, arbeitete auch
Weitere Kostenlose Bücher