Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
Sie sind gegen eine Expansion. Vermutlich sind Sie auch gegen das Biom.«
»Das Biom ist ein Fehler«, sagte der alte Mann. »Ich bringe Avernus die größte Achtung entgegen. Ich zweifle nicht an ihrer Großzügigkeit. Aber wir müssen nicht an das erinnert werden, was wir zurückgelassen haben. Wir haben hier ein neues Leben begonnen.«
»Neu? Wann haben diese Labors das letzte Mal einen neuen Stamm Vakuumorganismen hergestellt? Nicht nur irgendeine Modifikation oder leichte Verbesserung eines bereits existierenden Stammes, sondern etwas gänzlich Neues?«
»Nun, ich nehme an, da werden Sie den Direktor fragen müssen …«
»Das brauche ich nicht«, sagte Sri. »Ihr Forschungsprogramm ist höchstens als trivial zu bezeichnen. Es ist amateurhaft. Lange Zeit waren Sie uns gegenüber im Vorteil, während Sie hier draußen auf Ihren Archiven und Genombibliotheken hockten, aber inzwischen holen wir auf. Wir besitzen die Energie, den Geist und den Weitblick, die Ihnen abhandengekommen sind.«
Devon Pike stammelte irgendeine Antwort, aber Sri achtete nicht darauf. Sie vernahm ein helles Klingen in ihrem Kopf. Das war keine Propaganda. Für Propaganda hatte sie keine Zeit. Das waren ihre ehrlichen Überzeugungen. Am
Nachbartisch unterhielt sich Alder angeregt mit einer Gruppe jüngerer Wissenschaftler, schlank und gut aussehend in seinem roten Anzugoverall. Was für ein Team sie doch waren, dachte sie zärtlich. Ihre Gastgeber heuchelten natürlich höfliche Belustigung angesichts ihrer unverblümten Worte und versuchten, das Gespräch von dem Streitthema wegzulenken, aber sie unterbrach ihr Geplapper: »Früher einmal haben Sie vieles erreicht. Das gebe ich zu. Sie haben mehr getan, als nur zu überleben. Sie haben neue Lebensweisen geschaffen und die wissenschaftliche Forschung hochgehalten. Aber der Pioniergeist, der Sie zu all diesen wunderbaren Dingen angetrieben hat, ist Ihnen verlorengegangen. Ebenso wie die Menschen selbst beginnen auch Gesellschaften sich vor der Veränderung zu fürchten, wenn sie älter werden. Das liegt in der menschlichen Natur. Die Jungen erleben Abenteuer, während die Alten zu Hause sitzen und in ihren Erinnerungen schwelgen. Aber inzwischen ist es an der Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen und nach vorn zu blicken. Sie haben hier angeblich eine Demokratie. Jeder hat das gleiche Mitspracherecht und kann ein Thema aufs Tapet bringen. Aber Ihre Generation, Mr. Pike, hat zu lange unverhältnismäßig viel Einfluss gehabt. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Ihre Urgroßenkel.«
»Unsere Nachkommen sollten nicht vergessen, was uns von der Erde angetan wurde«, sagte Devon Pike starrsinnig. »Was auf dem Mond und dem Mars geschehen ist. Warum wir hierhergekommen sind.«
Sri sah sich um, aber abgesehen von dem alten Genzauberer erwiderte keiner der Menschen am Tisch – nicht einmal die jüngeren Außenweltler – ihren Blick.
»Vielleicht vertritt Avernus ja fortschrittlichere Ansichten über die Zukunft«, sagte sie. »Ich freue mich darauf, es herauszufinden.«
Sri wusste, dass sie und Avernus einigen Gesprächsstoff hatten. Deshalb war sie zuversichtlich, dass es mit einem Treffen klappen würde. Sri war zwar nicht die einflussreichste Genzauberin der Erde – noch nicht – und auch nicht die erfahrenste, aber sie war zweifellos die beste. Es war nur natürlich, dass sich Avernus mit jemandem würde treffen wollen, der ihr möglicherweise ebenbürtig war.
Als das Biomprojekt endgültig beschlossen wurde, hatte Sri sich alle Mühe gegeben, mit Avernus Kontakt aufzunehmen. Sie hatte sogar ein signiertes und in ihre eigene künstlich gezüchtete Haut eingebundenes Exemplar des Forschungsaufsatzes, mit dem sie ihre Karriere begründet hatte, an den einzigen dauerhaften Wohnsitz der Genzauberin in Paris auf Dione geschickt. Bisher hatte sie jedoch keine Antwort erhalten. Die Genzauberin hatte keinen Kontakt zu ihr aufgenommen. Nun war sie bereits seit acht Tagen auf Kallisto und wusste immer noch nicht, ob Avernus bei der Eröffnungszeremonie anwesend sein würde. Wann immer sie ihre Gastgeber zu dem Thema befragte, drückten diese sich stets so vage aus, dass es sie beinahe in den Wahnsinn trieb. Was höchstwahrscheinlich bedeutete, dass die Außenweltler ebenfalls nichts Genaueres wussten, aber zu höflich waren, um das zuzugeben. Auch Alder hatte nur wenig in Erfahrung bringen können, und keiner von Sris Kontakten in der Familie Peixoto und der Regierung Großbrasiliens auf
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