Der stille Ozean
kam ihm im nachhinein unbestimmbar lang vor. Einmal schien er ihm kurz gewesen zu sein, dann wieder so lange, daß er auf ihn wie eine Bedrohung gewirkt hatte. Tatsächlich hatte er zwischen Entdeckungsfreude und Angst geschwankt, während er ruckartig stehengeblieben war und seine Augen im Dämmerlicht den Fuchs ausgemacht hatten. Der Fuchs gab keinen Laut von sich. Offensichtlich hatte er angehalten, weil Ascher ihm den Rückweg abgeschnitten hatte. Mit hastigen Sprüngen entfernte er sich in den Nebenraum und mit einem Satz durch das Fenster in das Freie. Ascher lief ihm nach und sah ihn am Waldrand zwischen den Bäumen verschwinden. Eine Zeitlang wartete er. Dann ging er in die große Küche, in der der Sarg stand. Wie leicht und schlank ihm der Fuchs vorgekommen war. Sein huschender Schatten hatte auf ihn einen leuchtend gelblich-roten Eindruck gemacht. Wahrscheinlich hatte er in dem Haus Mäuse gejagt, vielleicht auch einen Hasen oder vielleicht nur ein Insekt. Sein Gebiß hatte dem eines Wolfes geglichen, die Beine waren kurz und kräftig, der Schwanz war dicht und nahezu so lang wie sein Körper gewesen. Zerbröckelte Mauer rieselte von der Decke, dort, wo die Tapeten zerrissen waren. Es waren Blumen gewesen, die auf sie gemalt waren, er erkannte sie jetzt genau. Er ging langsam durch das Haus. Vor der Küche begegnete er einem Mann mit buschigen Augenbrauen. Der Mann sah ihn neugierig und erstaunt an, dann betrat er, wie es Ascher vorkam, mit vorsichtigen, tappenden Schritten die Küche, gerade so, als bemühte er sich um große Leichtigkeit.
Ascher ging zum Kaufhaus, das halb in der Sonne und halb im Schatten lag. In dem spärlich möblierten Zimmer neben dem Verkaufsraum saßen schwarz gekleidete Männer und Frauen, unter denen er auch Zeiner und die beiden Frauen, die er in dem Haus des Toten kennengelernt hatte, sah. Als er eintrat, grüßten sie ihn. Ascher grüßte zurück und ließ sich ein Glas Wein bringen. An die Innenseite der Auslagenscheibe war in verkehrter Schrift mit weißen Buchstaben eine Nachricht geschrieben. Er las mühsam und so, als handelte es sich um eine wichtige Botschaft, daß es eine Sonderaktion für Bier gab. Dann folgte er dem Gespräch der beiden Frauen. Über den durchsichtigen, hellblauen Bergen, die man durch das Fenster des Kaufhauses sehen konnte, lag ein breiter Nebelstreifen. Wie ein Wasserfall oder weißer Wolkenschaum kam er Ascher vor. Er dachte in diesem Augenblick, daß es schön war, daß die Natur unbeteiligt war. Draußen standen die Autos und Motorräder der Kleinbauern, die von ihrer Arbeit gekommen waren. Sie tranken Bier aus Flaschen und blieben eine Stunde sitzen. Der Aufbruch dann geschah eilig, so als hätten 'sie etwas vergessen. Da es nur wenige Tische im Raum gab, saß Ascher unter ihnen. Sie kümmerten sich nicht um ihn, verhielten sich jedoch auch nicht abweisend. Aschers Blick fiel wieder aus dem Fenster. Er mochte es, wenn der Himmel sich am Abend langsam verdunkelte, die Wolken jedoch hell blieben. Als er gehen wollte, setzte sich Zeiner zu ihm. »Morgen jagen wir Hasen und Fasane«, sagte er, indem er sich zu ihm beugte. »Wenn Sie Zeit haben, hole ich Sie ab … Erwarten Sie mich um sieben Uhr, falls es Ihnen nichts ausmacht, so früh aufzustehen«, fügte er hinzu. Vielleicht war Aschers Abneigung unsinnig. Mit der Fasanenjagd – das überraschte ihn – verbanden ihn im nachhinein keine unangenehmen Gedanken. Im Grunde hatte er sich sogar wohl gefühlt. Auch schien sich Zeiner darüber zu freuen, daß er mitging. »Sie kommen doch?« fragte er. »Ja«, antwortete Ascher.
7
In der Nacht erwachte er. Draußen vor dem Dachbodenfenster und im Zimmer war nur Dunkelheit gewesen. Der Fußboden hatte geknackt, und Mäuse hatten gepfiffen, aber gleichzeitig bemerkte Ascher, daß es auch etwas anderes sein konnte. Die Hacke fiel ihm ein, die er nach der ersten Nacht wieder unter die Maiskolben gelegt hatte. Das kam ihm jetzt wie eine große Dummheit vor. Eine Weile bemühte er sich, einen Schritt zu hören, aber er vernahm nur das Rascheln und Scharren unter der Holzdecke. Wie leicht er in Momenten der Angst und der Abgeschlossenheit beten konnte! Aus Scham stieg er aus dem Bett, knipste die Taschenlampe an und blieb stehen. In der Tischlade fand er die Pistole, die er unter das Kopfkissen legte. Er drehte das Licht an, wartete vor der geschlossenen Zimmertür und ging dann, nachdem er das Licht wieder abgedreht hatte, zurück in das Bett.
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