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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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nicht einmal bemerken.« Etwas später traten sie aus dem Wald. Unter sich sah Ascher jetzt eine grasbedeckte Mulde, kleine Karpfenteiche, nackte Obstbäume und den Bauernhof, von dem aus sie die Jagd begonnen hatten. Über dem Wald stand die Sonne als helle Lichtwolke im Nebel. Das Bauernhaus in der Mulde sah von oben ganz klein aus, die braunen Hühner im Hof waren nur winzige Punkte. Der Jagdleiter hatte das geschossene Wild eingesammelt und schleifte es über einen Grasweg. Ascher konnte den Treibern jetzt ohne Mühe folgen, weil sie langsamer gingen. Sie nahmen hinter dem nächsten Hügel Aufstellung und unterhielten sich, bevor sie die Hunde wieder freiließen und nach ihnen in den Wald eindrangen. Ascher fühlte eine angenehme Müdigkeit. Er wußte nicht mehr, wie weit alles von ihm entfernt war. Der Jäger, hinter dem er herging, hatte den Hasen dem Bauern gegeben, sein Rucksack und seine Hose waren voll von dunklen, vertrockneten Blutflecken. Jählings ging es so steil bergab, daß die Hunde aufjaulten und sich überschlugen, ehe sie sich fangen konnten. Ascher klammerte sich an Gestrüpp, Zweige und Baumstämme, um nicht zu stürzen, dann hatte er Mühe, den gegenüberliegenden Hang wieder hinaufzuklettern, der in diesigem Nebel dalag. Unter einem Baum sah er verstreute weiße Hühnerfedern, und einer der Treiber sagte, daß an dieser Stelle ein Habicht oder Fuchs seine Beute, ein Haushuhn, verzehrt habe. Er war mit einem grauen Berghut und einer Militärjacke bekleidet, in seiner Hand hielt er einen zusammenklappbaren Jägersitz, mit dem er wie mit einem Spazierstock auf die Felder zeigte. Es war kalt, und Ascher sah seinen weißen Atem. Ein dunkler Schnurrbart stand über seiner Oberlippe, Tropfen hingen an den Spitzen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können wir langsamer gehen«, sagte er. Sie traten auf eine Wiese, von der man wieder in das Tal hinuntersehen konnte. Äpfel essende Jäger mit umgehängten Gewehren und Hunden an der Leine überquerten in großen Scharen den Hang. An ihren Lederschlaufen baumelten Nußhäher, deren Augen fest geschlossen waren, wie Ascher es als Kind im Winter bei erfrorenen Singvögeln gesehen hatte. Der Treiber, der mit ihm das letzte Stück gegangen war, hatte sich gebückt, einen Apfel aufgeklaubt und ihn Ascher gereicht. Er schmeckte wunderbar süß und kalt, Ascher war es, als betäube die Kälte seinen Kopf. Jetzt sah er auf ein tiefes, weites Talbecken hinunter mit weißgekalkten und umgepflügten Äckern und gelben Maiskegeln, die dicht nebeneinander aufgestellt waren. Gleich darauf strömten die Treiber wieder in den Wald. Laub regnete auf sie nieder, und das Sonnenlicht lag in Flecken auf dem Boden. Plötzlich sah Ascher einen Hasen, halbverdeckt von abgefallenen Blättern unter einem Baumstrunk vor sich. Er starrte den Hund, der ihn aufgestöbert hatte, an, machte einige Sprünge, erreichte die Hügelkuppe, wurde jedoch im selben Augenblick von Schüssen getroffen, die ihn herumwirbelten. Die Flucht hatte für Ascher etwas von irrwitziger Komik gehabt, die ihn seltsam leicht und mitleidig gemacht hatte. Kaum war der Hase erlegt gewesen, war der nächste in Zickzacksprüngen zwischen den Baumstämmen auf sie zugeflohen, und während Ascher noch beobachtet hatte, wie er gelaufen war, hatte er in den Augenwinkeln Zeiner wie einen Schatten das Gewehr von der Schulter nehmen gesehen, an einem Luftzug gespürt, wie er sich umgedreht hatte, ein Schuß war gefallen und der Hase war in einer kleinen Wolke aus aufgewirbelter Erde und Staub verschwunden. Aber sein Klagen war noch zu hören gewesen, das das Gekläff der Hunde mit einem hohen durchdringenden Laut übertönte. Sie waren vor einem von abgefallenen Blättern bedeckten Karpfenteich angekommen und warteten. Das Klagen des Hasen war jäh verstummt. Ein schwarzer Hund brachte ihn einem Treiber, der hinter Ascher noch im Gebüsch ging. Der Treiber griff nach dem Hasen und warf ihn den Waldhang hinunter, daß er vor Aschers Füße fiel. Ascher bückte sich und hob ihn auf. Er war überrascht, wie schwer er war. Die Schwere schien ihm der Ausdruck des Todes zu sein. Bei toten Menschen hatte er diese Erfahrung schon gemacht, er erwartete automatisch ein schweres Gewicht, auch der flink und leichtfüßig dahineilende Hase schien erst durch den Tod seine Schwere erhalten zu haben.
    »Wollen Sie den Hasen haben?« fragte Zeiner. Ascher schüttelte den Kopf.
    »Natürlich, Sie sind allein. Das ist klar«, sagte Zeiner.

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