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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Heiratsanträge gemacht, zumeist alten, aber keine habe sich mit ihm eingelassen, obwohl er gedroht habe, sich umzubringen. Die Frau zeigte ihm die Kapelle, die mit einer Kastentür versperrt war. Über das Dach der Kapelle ragte ein Holzkreuz. »Dort drüben hat er seine Hühner und Hasen gehalten«, setzte sie fort und zeigte auf eine schiefe Holzhütte. Hinter dem Haus erstreckte sich eine niedere Laube, in der Wäschestücke zum Trocknen aufgehängt waren. Auf einem weißen, wackeligen Küchensessel saß eine dicke Fliege. Ein Lastwagen der Landwirtschaftsgenossenschaft kam zwischen den Obstbäumen einen staubigen Weg dahergefahren. Zwei Männer in Arbeitsanzügen stiegen aus und luden Zementsäcke auf, die sie am Vormittag abgeladen hatten. Als sie fertig waren, stellten sie sich zu den Frauen, und der eine fragte Ascher, ob er von der Polizei sei. Nein? – Von der Zeitung?
    Er schwieg nachdenklich, als Ascher den Kopf schüttelte. »In der Kapelle«, sagte er nach einer Weile, »das müssen Sie sehen, ist ein blauer Stoffhimmel. Er hat Frauenkleider angezogen und die Messe gelesen.«
    »Er hält Predigten, wissen Sie«, fuhr der andere Mann fort. »Einmal bin ich mit dem Lastwagen vorbeigekommen und habe gesehen, daß er gepredigt hat, ich bin aber weitergefahren. Er hat mich auch nicht beachtet. Als ich zwei Stunden später denselben Weg zurückgefahren bin, ist er noch immer vor der Kapelle gestanden und hat gepredigt. Ich habe aus Spaß gehupt, und da ist er wie der Blitz im Haus verschwunden.« Der Mann und die übrigen lachten. Einer sagte: »Ich muß jetzt gehen«, und auch andere gingen.
    »Haben Sie schon in den Keller geschaut?« fragte der Mann. »Da müssen Sie hineinschauen: lauter leere Flaschen. Der Dachboden ist voller Kleider, die er bei Fetzenmärkten zusammengekauft hat.« Er machte eine Pause und dachte nach. »Aber er ist ein guter Mensch – sehr großzügig … vor ein paar Jahren habe ich ihn gefragt, ob ich seine Äpfel haben kann für meine Schweine … er hat sie mir gegeben, und ich bin sie am Sonntag holen gegangen, gleich in der Früh, mit meinen beiden Töchtern, eine war damals sechs, die andere acht. Wir sind um halb acht gekommen, und er hat mir sofort eine Flasche Bier gebracht und für die Kinder einen Doppelliter Wein … die waren ja damals noch ganz klein, meine Kinder.« Der Mann dachte wieder nach. »Wer weiß, wie es gewesen ist«, sagte der andere dann. »Wir waren ja nicht dabei.« »Das ist wahr.«
     
    Am nächsten Tag war Ascher im Graben ein Mann mit einem Gewehr aufgefallen, der vor dem Hof gestanden war. Es war ein schlanker, großer Mann mit einem Bürstenhaarschnitt. Er fuhr jeden Morgen mit seinem Traktor die Milchkannen, die die Bauern auf Bänke vor das Haus stellten, zur Molkerei. Ascher kannte ihn von Jagden. Trotz der Kälte war er nur mit einem Hemd bekleidet. »Bleiben Sie, wo Sie sind«, rief der Mann, als er ihn erblickte.
    Jetzt sah Ascher einen Fuchs über den Hof kommen. Sein Fell war zerrauft und der Unterkiefer hing herunter. Er setzte sich hin, glotzte den Bauern an, stand auf und wurde im selben Augenblick vom Hund angefallen, der sich im Stall befunden hatte. Auch die Frau des Bauern wollte aus dem Stall treten, aber der Mann schrie, sie solle im Stall bleiben.
    Die Hühner und Enten waren erschrocken aufgeflogen oder davongelaufen, und der Hund hatte sich in den Fuchs verbissen.
    »Komm her!« schrie der Mann den Hund an. »Ich kann nicht schießen, wenn du nicht herkommst!« Schaum lief aus dem Mund des Fuchses, und als der Hund plötzlich abließ, blieb er mit hängendem Unterkiefer sitzen. Er versuchte, sich zu erheben, machte jedoch nur eine unbeholfene Drehbewegung, rollte zur Seite und biß in einen Baumstamm. Im selben Augenblick traf ihn ein Schuß und warf ihn in eine Pfütze, in der er liegen blieb. Der Mann schoß noch einmal, aber der Fuchs rührte sich nicht mehr. Ascher war inzwischen den Weg zum Haus hinuntergeeilt. Es war ein einstöckiges altes Bauernhaus mit einer weiß und grün gestrichenen Tür und kleinen vergitterten Fenstern. Im Hof stand ein Fuhrwerk, hinter dem Viehstall befand sich ein Misthaufen. Er lief auf den Mann zu, der sich über den Fuchs beugte und ihn anschaute. »Er hat die Tollwut«, sagte er.
    Seine Frau war aus dem Viehstall gekommen und blieb in einiger Entfernung stehen. »Wo ist der Hund?« fragte der Mann.
    Der Hund kam mit blutender Schnauze unter dem Fuhrwerk heraus und beschnüffelte den

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