Der stille Ozean
Bauern. »Was hätte ich machen sollen«, sagte der Mann. »Es ist mir nichts anderes übriggeblieben.«
Bei dem Mann, so hatte Ascher gehört, handelte es sich um den Tierarzt aus Arnfels. Er verstaute den Hund und den Fuchs in wasserdichte Säcke und legte sie in eine Kiste, die mit Häcksel und Papier gefüllt war. »Alles weitere werden Sie erfahren«, sagte er, bevor er davonfuhr. Der Bauer nahm eine Schaufel und schüttete Sägespäne über das Blut.
»Bleiben Sie zum Essen«, sagte er zu Ascher. Die anderen hatten es auf einmal eilig gehabt und waren gegangen. »Dreihundert Schilling geben sie mir für den Fuchsbalg, habe ich gehört«, sagte der Mann, »besser als nichts.«
Während Ascher am Abend die Chitinpanzer von Insekten unter dem Mikroskop betrachtete, überlegte er, seiner Frau zu schreiben, was er gesehen hatte. Er hatte mit ihr telefoniert, jedoch nichts über das, was er gesehen hatte, erzählt. Er fing einen Brief an, zerriß ihn dann und blickte wieder auf das Skelett einer Schmeißfliege. Im Licht sah sie gelbbraun aus. In der Vergrößerung war sie zu einem technischen Modell geworden, einem musealen Aeroplan der Vorzeit. Nur der Kopf hatte etwas Tierhaftes. Er fuhr langsam über die Gestalt, die Flügel und Beine und dann wieder zurück bis zum Kopf. Wie groß sie war. Je länger er sie betrachtete, desto mehr wurde sie zu einem Tier der Urzeit. Als riesiges Ungeheuer schwebte sie in seinen Gedanken durch eine Pflanzenlandschaft.
12
Am nächsten Tag stellten Männer der Bezirkshauptmannschaft Tafeln auf, auf denen die Gemeinde zum Tollwutgebiet erklärt wurde. An die Jäger wurde nochmals die Weisung erteilt, den Fuchsbestand zu verringern, alle geschossenen Füchse müßten an die Tierärztliche Hochschule nach Wien eingeschickt werden. Frei herumlaufende, also streunende, Hunde und Katzen würden erschossen. Im Kaufhaus sprachen die Männer und Frauen darüber und waren einverstanden. Es kam auch vor, daß man Ascher bat, in das Haus zu kommen und die Flugblätter vorzulesen. Ascher beschränkte sich darauf zu betonen, daß so rasch wie möglich ein Arzt aufgesucht werden müsse und Tollwutanfälle der Gendarmerie zu melden seien. Aufgefundene Tierkadaver dürften nicht berührt werden, außerdem gäbe es die Möglichkeit einer Schutzimpfung. Anfangs hörte man ihm aufmerksam zu, aber sobald er versuchte, eine ausführliche Erklärung abzugeben, wurden die Bauern ungeduldig oder verließen den Raum. Nur die Jäger wollten Genaueres wissen.
Am ersten Tag schon fuhr einer der Jäger mit einem VW-Transportfahrzeug vor das Kaufhaus und ließ andere Jäger mit Hunden zusteigen, um die Fuchsbauten im Revier zu durchsuchen. Ascher kannte einige von ihnen. »Wollen Sie mitkommen?« rief Hofmeister herunter.
Die Äste der Baumkronen waren weiß von Reif. Dunst stieg von den Wiesen auf. Es war ein klarer, kalter Tag. »Die meisten Fuchsbauten kennen wir«, sagte Hofmeister. Einer der Jäger hatte seine Schrotflinte aufgeklappt und blies in den Lauf. Es klang wie ein tiefer Pfiff. »Wir lassen die Hunde in den Bau und warten vor den Eingängen. Wenn die Füchse herauskommen, erschießen wir sie. Manchmal werden unsere Hunde auch verletzt, wenn sie mit den Füchsen im Bau kämpfen. Vor ein paar Jahren hat ein Fuchs meinem Hund den Unterkiefer abgebissen, seither habe ich mir keinen mehr angeschafft«, sagte Hofmeister. Sie hielten an und sprangen vom Wagen.
Zwischen Tannenbäumen stiegen sie einen steilen Hang hinunter. Ascher hatte Mühe, den Jägern zu folgen. Im Graben hörte er einen Bach rauschen. Sie blieben vor einer Öffnung in der Erde stehen, die anderen gingen weiter. »Heuer gibt es keine Schnepfen«, sagte Hofmeister, während sie warteten. »Sind schon weggeflogen«, antwortete Rogy. »Sind Zugvögel.« Auf der gegenüberliegenden Seite sah Ascher Dampf aus einem Acker steigen. Die Sonne schien. Ein alter Mann mit einer blauen Schürze und einer Trachtenjacke stach Erde aus dem Acker und füllte sie in eine Schubkarre. Er trug einen verdrückten Hut und Gummistiefel. Überall dort war der Acker von weißen Tupfen, Punkten und Linien bedeckt, wo eine Wurzel, Gras oder Unkraut aus der Erde ragten. Wieder ertönte der dumpfe Pfiff aus dem umgeklappten Lauf der Schrotflinte. Daraufhin ließ Rogy seinen Hund los.
»Putzen!« rief er. »Putzen.« Er hatte sich vor die Erdöffnung gekniet und den Kopf in das Loch gesteckt. Der Hund begann zu graben.
»Wir müssen
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