Der stille Ozean
schwielig, so daß sie sich zuerst fremd anfühlte, dann erst spürte er ihre Wärme. Der Mann nickte und sagte etwas Unverständliches, dann ging er voraus und zeigte ihm seine Werkstatt in einem Schuppen, die er, so viel verstand Ascher, neu eingerichtet hatte. »Hobelbank«, sagte der Mann. »Selbst gemacht.« Durch die Fenster fiel bleiches Winterlicht herein, draußen lagen die schneebedeckten Wiesen.
In der Stube hockten drei Mädchen. Die jüngste hatte eine große Papierschere in der Hand und zischte und lachte vor sich hin. Ascher erkannte, als er sie näher betrachtete, daß sie krank war. Sie hatte ein hübsches Gesicht und blondes Haar, ihre Augen hatte sie geschlossen, den Kopf wiegte sie rhythmisch hin und her. »Sssssss … schschschschschsch … ssssssssssssss«, machte sie in einem fort, stand auf, streckte die Arme von sich und wiegte sich zum Zischgeräusch in den Hüften. Sie trug einen blauen Anorak und rote Gummistiefel, und Ascher hatte das Gefühl, daß sie mit ihm sprechen wollte. Er legte eine Hand auf ihr zerstrubbeltes Haar und warf einen Blick auf die beiden anderen Mädchen. Die älteste saß still vor dem Tisch und häkelte ein Puppengewand. Auch sie hatte ein hübsches Gesicht mit vollen roten Lippen und großen Augen, ihr Haar war brünett, und als sie Aschers Blick bemerkte, senkte sie den Kopf. Neben ihr saß die mittlere. Sie war nur mit einer ausgewaschenen Flanellunterwäsche bekleidet, ihr Gesicht war spitz und lebhaft, ein Vorderzahn fehlte in ihrem Mund, Speisereste klebten an den Lippen. In ihren Händen hielt sie einen Fingerhut und eine Nadel. »Wie heißt du?« fragte Ascher. Das Kind sagte: »I!«
»Ich«, erklärte der Mann. Ascher setzte sich in die Eckbank. Die Frau kam verschlafen in die Küche. Sie hatte helle Augen, trug kleine goldene Ohrringe und stellte ein Glas mit Schnaps vor ihn hin.
»Trinken Sie aus«, sagte die Frau. Ascher leerte das Glas, und der Mann lachte. Er zog sich die Hose hinauf, blinzelte und warf seiner Frau, die sofort nachschenkte, mit leicht nach hinten gelehntem Kopf einen Blick zu. Das jüngste Mädchen hatte eine große Fotografie zu zerschneiden begonnen. Es schnitt Ecken und Streifen herunter und schloß dabei die Augen. Manchmal gab es einen Laut von sich, verzog den Mund und wiederholte den Laut. Dann legte es die Schere weg und zischte wieder, nahm einen Wollfaden vom Fenster, schlang ihn, sich wiegend, um den Kopf, setzte sich auf den Schoß der Zwölfjährigen, sprang wieder herunter und schlug auf ihre Knie. Noch bevor ihre Schwester zurückgepufft hatte, hatte es die Mutter gegen die Schulter geboxt. Ascher sah Tränen in die Augen des Mädchens steigen, sein Gesicht zuckte unentschlossen, ob es dem Weinen nachgeben oder sich nichts anmerken lassen sollte. Es kroch unter dem Tisch zu Ascher, worauf er es an sich zog. Der Mann und die Frau sahen ihn fragend an, dann unterhielten sie sich über Aschers Wunsch. Er verstand nur so viel, daß sie sich über den Preis nicht einig waren. »Ich weiß nicht, was Sie bezahlen wollen?« sagte der Mann.
Ascher antwortete, er würde bezahlen, was der Mann verlange.
»Achthundert für zwei Anhänger, ist das zu viel?«
»Nein, ich bin einverstanden.«
»Gut.«
Die Frau ging mit dem Geld hinaus, und Ascher sah im Vorzimmer einen schwarzen Regenschirm neben einem Büschel Maiskolben und dem farbigen Druck eines balzenden Auerhahnes hängen. Er stand auf, das Kind begann jedoch zu weinen und klammerte sich an ihm fest, daß er es herumtragen mußte. Er trug es auf den schneebedeckten Hof, lief mit ihm um den Schweinestall, und der Hund sprang an ihm hoch und umarmte ihn mit den Pfoten. Dann, nachdem es sich beruhigt hatte, stellte er es zurück auf den Boden und ging rasch, ohne sich umzudrehen, den Weg zurück.
14
Bevor Ascher das Haus der Witwe betreten hatte, hatte er vom anderen Hügel die Kinder und die Frau des Nachbarn singen gehört, sie hatten ihm nachgewunken und waren nachher im Flur verschwunden. In der Küche hatte er zugesehen, wie der Schlächter das Gehirn aus dem Schweineschädel geschält hatte. Es war nicht größer gewesen als eine Kinderfaust. Alles war so eingeübt vor sich gegangen, daß die Witwe und der Schlächter auf Ascher wie unbeteiligt gewirkt hatten. Früher, so hatte der Schlächter gesagt, als es noch keine Tiefkühltruhen gegeben habe, sei einmal im Jahr ein fettes Schwein geschlachtet worden. Das sei ein Festtag gewesen, denn daraufhin habe es
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